BRAWK / Instant Akusmatik am 27. August 2017 im Kunstverein Kohlenhof. Nürnberg, v.l.n.r.: Julian Bossert, Uwe Weber, Michael Ammann, Barbara Kastura
Klangschöpfung, Seelenbegegnung und synästhetische Räume
Phänomenologisch-transformatorische Annäherung an die klangkünstlerische Versuchsanordnung „Instant Akusmatik 2.0“ von Michael Ammann, aufgeführt im Rahmen des ZIKADEN Festivals 2017 im Kunstverein Kohlenhof, Nürnberg.
Forschung mit Mitteln der Kunst: Das menschliche Bewusstsein ist in der gegenwärtigen globalen Krise der Menschheit in Aufruhr, es transformiert in eine neue Ebene, in einen integralen Zustand, von dem man objektiv nichts aussagen kann, der sich aber subjektiv wenigstens sublim anzukündigen scheint. Das „neue“ Bewusstsein ruft aus der Natur wie aus einer weiten Vergangenheit oder einer fernen Zukunft zu uns und ist schon immer da, jedoch weitgehend unbedacht und unerfahren. Dieses Bewusstsein ist umfassend, gegenwärtig und über-individuell. Es lässt sich sprachlich nur umschreibend umkreisen und wird erst durch kontemplative Übungen erfahrbar. Mit herkömmlichen (wissenschaftlichen) Methoden ist diesem Bewusstsein nicht auf die Spur zu kommen, da die über die vom egozentrisch und funktional bestimmten Logos geprägten Kategorien und Begriffe hier nicht greifen. Im Zuge der sich global ereignenden Bewusstseins-Transformation erfahren diese eingeschränkten Begriffe und Kategorien gegenwärtig eine Neubewertung, wobei noch nicht klar ist, wer oder was nach der Neubewertung der, die oder das Erkennende und wer oder was der, die oder das zu Erkennende sein wird, zumal sich dieser Dualismus aufzuheben beginnt.
Die künstlerisch inspirierte Versuchsanordnung von Michael Ammann (1) nimmt bereits viele Aspekte künftigen Forschens vorweg: ein definiertes Setting mit größtmöglichen Freiheitsgraden zur Erforschung unbekannter Gebiete – in diesem Fall auf den Feldern der zwischenmenschlichen Resonanz, der Wahrnehmung und des Bewusstseins.
Klassischerweise ist Ammans Versuchsanordnung dem Feld der Kunst ebenso wie der Psychologie zuzuordnen, aber auch Fragestellungen der Physik, der Biologie, der Soziologie oder der Philosophie werden hier berührt. Solcherart praktizierte Forschende Kunst macht die Möglichkeit, wenn nicht gar die Notwendigkeit der Verflüssigung etablierter Kategorien zur Erzeugung interdisziplinärer Perspektiven und Erkenntnishorizonte evident.
Das Forschungsfeld von Michael Ammann entfaltet sich überwiegend im Klangraum der menschlichen Stimme, aber auch Instrumente wie Saxofon, Klarinette oder Kontrabass werden auf ihre Klangmöglichkeiten hin erforscht. Mit dem Atem und durch den Mund geschaffene Töne und Geräusche werden durch stereophon angeordnete, hochempfindliche Mikrofone so erfasst, dass sie über Lautsprecher für das menschliche Ohr nahezu identisch wiedergegeben werden. Der Klang wird durch hochauflösende Mikroskope in den feinsten Nuancen erfasst und wie durch ein Vergrößerungsglas in den Raum projiziert. Bewegungen des Stimmgebers an den Mikrofonen werden für den Zuhörer räumlich nachvollziehbar, Klänge und Geräusche sind an bestimmter Stelle im Raum positioniert oder bewegen sich mit unterschiedlicher Intensität und Färbung analog der Bewegung des Stimmgebers an den Mikrofonen durch den Raum. Die Wahrnehmung dieses Ereignisses erfolgt mit geschlossenen Augen, der Fokus der Wahrnehmung richtet sich auf das pure Klangerleben.
Als Stimmgeber fungieren mindestens zwei Akteure, die jeweils an einem stereophonen Mikrofon agieren und über Kopfhörer sowohl die eigene Stimme als auch die der bzw. des Mitspieler(s) erfahren. Es entsteht ein Klangraum, der von den Spielern unmittelbar erzeugt wird und der sich sowohl aus dem Hören der eigenen und der anderen Stimme(n) und Klänge heraus entfaltet. Die Vorgabe für alle Spieler ist es, rein klanglich zu arbeiten, d.h. möglichst keine musikalischen oder sprachlichen Muster abzurufen bzw. zu konstruieren. Es bestehen ansonsten keine Absprachen im Hinblick auf die Darbietung oder auf den jeweiligen individuellen Ausdruck.
Wesentliche Vorgabe für die Spieler ist, sich maximal auf das klangliche Geschehen einzulassen und dabei nur die Stimme(n) sowie mit dem Mund oder durch Gesten erzeugte Geräusche wirken zu lassen, ohne dass die Quellen noch als individuelle Äußerungen erkennbar wären. Es soll eine akusmatische Situation entstehen, „… damit der sich im Klangraum befindliche Hörer (der die Möglichkeit hat ein Schlafbrille zu nutzen) sich auf produktiv-assoziative Prozesse und auf reines Hören einlassen kann.“ (M. Ammann) (2) . Die Identität des Klanggebers wird damit aufgelöst oder doch zumindest in Frage gestellt – ja, man könnte sagen, dass sich inmitten dieser Frage die Klänge überhaupt erst entfalten. Die Stimmgeber stellen sich der Herausforderung, maximal präsent und gegenwärtig zu wirken - bei gleichzeitig größtmöglicher Sensibilität und Zurücknahme der eigenen Persönlichkeit (zumindest was deren konventionelle Ausprägungen betrifft). Es ist, als würden sich hoch empfindsame Seelen im Weltall begegnen und in Kommunion die Möglichkeiten und Qualitäten ihres Daseins ausloten, wenn nicht gar feiern.
So weit zur Versuchsanordnung im Bereich der Stimmgeber. Im Bereich der Rezipienten wird die introspektive Betrachtung klanglichen Erlebens erforscht. Der Rezipient erfährt sich im klanglichen Feld ebenso präsent wie die Akteure. Die Wahrnehmung entfaltet sich unmittelbar und gegenwärtig, da keine herkömmlich interpretierbaren Muster im Raum stehen, sondern der Klang von Sekunde zu Sekunde aufs Neue entsteht. Der Akt der akustischen Wahrnehmung tritt auf diese Weise absolut in der Vordergrund und bietet sich als Forschungsfeld an: Welche Phänomene begegnen mir bei der Wahrnehmung dieses Ereignisses und was kann ich ggf. daraus für meine Wahrnehmung im Allgemeinen ableiten?
Zuerst einmal ist das Phänomen offensichtlich, dass mir die Klänge, die hier im Raum sind, nicht im gewohnten Sinne vertraut sind. Ich weiß zwar, dass diese klanglichen Erscheinungen von Menschen im Rahmen dieser Aufführung produziert werden, doch bin ich dazu angehalten und als Kunst-Rezipient auch gerne dazu bereit, von diesem Zustand abzusehen und mich rein auf das klangliche Geschehen einzulassen. Sobald mir dies gelingt (was nicht ganz einfach ist und auch seitens des Zuhörers ein Absehen von sich selbst erfordert) stoße ich auf die unmittelbaren klanglichen Qualitäten bzw. diese stoßen auf mich. Ich erfahre mich als Erfahrenden und nehme in diesem Augenblick wahr, dass „ich“ ein wahrnehmendes Organ bin, das mit Erinnerungsspuren belegt und von sprachlichen und emotionalen Mustern und Prozessen durchdrungen ist.
Die UKO´s (unbekannte Klangobjekte), d.h. die Phänomene, die mir in diesem Klangraum begegnen, sind nicht wie gewohnt von „dieser“ Welt, was mir meinen Hörsinn nochmals ganz neu aufschließt und mir auch mein Bewusstsein und mein Denken und Fühlen im Hören vor Augen (!) führt. Ich nehme das klangliche Ereignis wahr, bin inmitten eines klanglichen Geschehens, dem ich mich allerdings nicht eindeutig ins Verhältnis setzen kann (es ist keine Musik, der ich lauschen könnte und kein Geräusch, das in der üblichen „Realität“ zu verorten wäre) – ich befinde mich mitten in einer Vieldeutigkeit und bin darin Regisseur und Interpret zugleich.
Gerade entstehen bedrohliche Laute, es hat sich etwas zwischen den Klängen (sind es Geräusche, sind es Stimmen?) aufgeschaukelt, der dynamisch-dialogische Prozess zwischen den Stimmgebenden tritt in den Vordergrund, zugleich bemerke ich ein beengendes Gefühl. Welche Intentionen sind hier im Spiel, wie interagieren die Stimmgeber, wo gehen sie aufeinander ein, wo gibt wer den Ton an, welchen Grad der Sensibilität erreichen sie und welchen Grad der Sensibilität erreiche ich gerade? Wenn ich keine Quelle eindeutig zuordnen kann, so sind mir doch wenigstens die Stimmen bekannt – ich erkenne jeden der Spieler als beteiligten Akteur und achte nun darauf, wer mit wem auf welche Weise interagiert. Schlagartig tritt Stille ein, der ein versöhnliches, beruhigendes Summen folgt, ich beobachte mich beim Wahrnehmen und beim Denken und bemerke, wie langsam eine beruhigende Stimmung mein Denken überflutet, als ob dieses Gefühl mir den Weg meines weiteren Denkens und Wahrnehmens weisen könnte.
Ich vertraue auf dieses Gefühl und erfahre die klanglichen Eindrücke als Anregungen für zeichnerische und malerische Impulse, die nun auch meinen inneren Sehsinn anregen und modellieren.
Der Klangraum wandelt sich vor meinem inneren Auge zu einem Fühl- und Sehraum, die Klänge und Geräusche schlagen sich synästhetisch nieder und es entfalten sich Linien, Striche, Punkte, Flächen und Formen und Farben. Hier ein Tupfer-Stakkato, dort ein Strich, darüber eine Fläche. Manches davon bleibt etwas länger stehen, manches verblasst sofort wieder, anderes wird überlagert und gewandelt. In dieser Wahrnehmung eines abstrakten expressionistischen Bildraums erfahre ich hohen ästhetischen Genuss - im Spiel der synästhetischen Assoziation meiner im klanglichen Ereignis sich entfaltenden begriffslosen Vorstellung. Dann aber eben doch wieder der Begriff, der mich einholt – die Reflexion über dieses Geschehen, das Denken darin und darüber und der Versuch des Verstehens. Selbst Momente der Kontemplation treten bei diesem Experiment zutage. Ein ideeller Raum scheint in solchen Augenblicken durch den sinnlichen hindurch, es sind Energieströme, die sich dabei offenbaren und die weit über das hinausgehen, was mir an diesem Ort und in diesem Moment begegnet. Es ist, als öffneten sich die Pforten der Wahrnehmung - es ist ein nüchterner „Trip“ in die Welt des Geistes, des Denkens und Fühlens – angetriggert durch ein klangliches Geschehen in einem künstlerisch-experimentellen Setting.
Versuchsanordnungen wie Instant Akusmatik 2.0 von Michael Amman eröffnen neue Möglichkeiten einer verschiedenste Wirklichkeits-, Wahrnehmungs- und Bewusstseinsbereiche aufschließenden und diese integrierenden Erforschung noch unbekannter Gebiete und Weisen menschlichen In-der-Welt-Seins. Identitäten werden verflüssigt und tiefer liegende Schichten der Existenz scheinen auf. Diese tieferen Schichten rühren an unser Bewusstsein als etwas für sich und für uns Bewusstes außer und in uns. Das, was wir als Menschen über die Jahrtausende unserer technischen, ego-besessenen Entwicklung ausgeblendet haben, kommt hier zum Vorschein und fordert unsere Aufmerksamkeit und unsere Fähigkeit, die Welt auf eine völlig andere Weise verstehen und gestalten zu lernen. Es ist eine intuitive Wahrnehmung, die dem kosmischen Bewusstsein, das verdrängt seit jeher in uns strömt, suchend entgegenkommt. An dieser Schnittstelle entwickelt sich ein neues Bewusstsein, das der Welt keine menschlich-eingeengten Sichtweisen und Interessen überstülpt, sondern das sich von der Welt her in lebendiger Gemeinsamkeit mitzuzuteilen und zu verstehen beginnt.
Solche künstlerisch inspirierten Forschungsfelder sind von immenser Bedeutung, da sie uns dabei helfen können, die Dimensionen des Bewusstseins auf kontemplative Weise neu zu erfassen und die uns tragende und hervorbringende Welt dankend in jedem Augenblick willkommen zu heißen, so wie wir selbst in dieser Welt jeden Augenblick aufs Neue zur Welt kommen. Die Freiheitsgrade, Identitäten und Intensitäten, die hier auf uns zukommen, sind unermesslich und warten darauf, durch künstlerisches Forschen freigelegt zu werden.
(1) Michael Ammann beschreibt seine Versuchsanordnung folgendermaßen: „Unter Verwendung der klassischen, aber nicht im traditionellen Kontext verwendeten Klangerzeuger, Saxophone/ Klarinette, Kontrabass und Stimme untersuchen die Künstler abstrahierend-improvisatorisch die Bandbreite ihrer Klangquellen und deren Vernetzung im stereophonen Raum. Die Quellen werden bis auf die Verwendung eines analogen Hallgeräts elektronisch nicht verfremdet.
Prozessuale Versuchsanordnung: Die Künstler forschen maximal intuitiv in Echtzeit in den Spannungsfeldern Nähe und Kontrast. Relevante Parameter sind vornehmlich Dynamik, Raum, Dichte, Klangschöpfung, Be- und-Entschleunigung, Stille, Zufall, Klangverschmelzung, Kon-und-Dekonstruktion von Klängen und Klangverläufen. Wesentlich ist die Fokussierung auf Klangpartikel, jedes noch so leise Geräusch, jeder Mikroklang bekommt als klangskulpturales Bauteil in diesem Zusammenspiel Bedeutung. So wird mittels einer speziellen Mikrofonierung versucht einen Klangraum zu erschaffen, als würde man sich innerhalb des Korpus des Kontrabasses, einer quergelegten Klarinette oder im Mundraum befinden.
Über die Lautsprecher soll eine Spreizung der Instrumentalräume erreicht werden. Diese holophone Übertragungstechnik ermöglicht zudem, Klänge im Raum zu platzieren, zu bewegen und mit spatialer Nähe und Tiefe zu agieren. UKO (Unbekanntes Klangobjekt) ist eine Begrifflichkeit aus der Filmmusik und beschreibt die Fokussierung auf nicht- determinierte Klänge, die keiner Quelle zugeordnet werden können und räumlich schwer zu orten sind. "Das nicht eindeutige Klangobjekt stellt eine Frage, und der Zuschauer wird versuchen das Rätsel durch Interpretation zu lösen." (Quelle: Barbara Flückiger - Sound Design 2002 Schüren Verlag). Aus diesem Grund wird visuell unauffällig gearbeitet, damit der sich im Klangraum befindliche Hörer (der die Möglichkeit hat ein Schlafbrille zu nutzen) sich auf produktiv-assoziative Prozesse und auf reines Hören einlassen kann. Eine akusmatische Situation.“ (Pressemitteilung, Juli 2017)
(2) Der Begriff Akusmatik (griechisch Akousma „auditive Wahrnehmung“) bezeichnet eine Musik, deren Klangerzeugungsmittel nicht sichtbar und meist auch nicht identifizierbar sind. Es entsteht eine Situation reinen Hörens, da die Aufmerksamkeit nicht durch eine sichtbare oder vorhersehbare Klangquelle beeinflusst wird. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Akusmatik)