Sehen und gesehen werden
Mein Geist legt sich wie Tau auf Moos.
Es riecht nach Wald
und meine Seele glitzert
im Licht.
Im Grenzbereich von Wahrnehmung, Begriff und Intuition entfaltet sich ein überraschendes, gegenwärtiges Weltbegegnen. Noch bevor etwas zur Sprache kommt, zeigt sich das Leben in all seiner Bedeutsamkeit. Das Denken will gezügelt werden und zur Stille kommen, damit das wahrgenommen werden kann, was von jeher sich zeigen will. In der Natur kommt etwas zum Ausdruck und will sich im Wahrgenommen-Werden entfalten. Das Leben des Menschen ist Begegnung mit dem Leben der Schöpfung. Was sich in dieser Begegnung zeigt, entsteht in dem Moment, ab dem wir uns darauf begriffslos einlassen. Plötzlich öffnet sich der Himmel, der Wind atmet auf, die Landschaft lächelt, die Pflanzen tanzen und die Tiere blicken uns an.
Die Natur sehen, heißt von ihr gesehen werden. Dies zu erkennen entspringt einem Vermögen außerhalb der Begriffe. Dieses Vermögen ist eines des Zusammenspiels aller Sinne. Auch der geistigen und der seelischen jeglicher Ausprägung. Dann wird ein Ton zu Bild und Gedanken und eine Idee zu Vorstellung und Tat. Gefühle beginnen zu klingen und der Kosmos hebt an zu singen. In der Natur zeigt sich das alles durchdringende, lebendige Leben und reicht uns die Hand. Davon Zeuge zu sein, ist eine Gnade und wert, es zu teilen.
wundersam-Forschende nehmen bei ihren Erkundungen und schöpferischen Entwicklungen eine vorreflexive, intuitive Haltung ein, bei der Phänomene in ihrer gegenwärtigen, ursprünglichen, unmittelbaren, vielfältig verflochtenen Beziehungskraft erscheinen bzw. wahrgenommen werden und dabei eine ungeahnte Bedeutsamkeit entfalten können – die Forschenden werden sich selbst staunend als betrachtende und erkundende Wesen fragwürdig.
Eine Figur, eine Stimmung, ein Gefühl, ein Windhauch, eine Berührung, eine Landschaft, eine Absicht, eine Frage etc. wollen sich im Wahrgenommen-Werden zeigen – und diese im Phänomen enthaltene Neigung (ab wann ist es eine Absicht?) zeigt sich der forschenden Betrachtung zumeist nur geahnt am Rande (des jeweiligen Bewusstseins) – da, wo das sich Zeigende (nicht das in der Wissenschaft ja zumeist gewaltsam Analysierte und Zurechtgebogene) in seiner Ganzheit und Würde am reinsten (nämlich eigentlich intim) gegeben ist.
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„Die Sprache der Natur also soll der Künstler reden lernen, und der Hörsaal, wo ein solcher Unterricht von ihm empfangen werden kann, ist nur die freie Natur selbst: Wald und Feld und Meer, Gebirge und Fluss und Tal, deren Formen und Farben er nun unablässig, ja lebenslänglich studieren soll, wo des Lernens und Übens kein Ende sein kann, und wo wir sagen dürfen, wie im Diwan steht: „Daß du nicht anders kannst / das macht dich groß!“ Ist nun aber die Seele durchdrungen von dem inneren Sinne dieser verschiedenen Formen, ist ihr die Ahnung von dem geheimen göttlichen Leben der Natur hell aufgegangen und hat die Hand die feste Darstellungsgabe, sowie auch das Auge den reinen, scharfen Blicks sich angebildet, ist endlich die Seele des Künstlers rein und durch und durch ein geheiligtes, freudiges Gefäß, den Lichtstrahl von oben aufzunehmen, dann werden Bilder vom Erdenleben einer neuen, höheren Art, welche den Beschauer selbst zu höherer Naturbetrachtung heraufheben und welche mystisch, orphisch in diesem Sinne zu nennen sind, entstehen m ü s s e n , und die Erdlebenbildkunst wird ihren Gipfel erreicht haben.“
Carl Gustav Carus, Briefe über Landschaftsmalerei, in: Reisen und Briefe, 2. Teil, hg. V. P. Mersbach u.E. vo. Sydow, Leipzig o.J., S. 275
zit. in: Robert Josef Kozljanic, Lebensphilosophie, Kohlhammer, Stuttgart, 2004 mit der Fußnote des Autors: „Dass Carus damit keine weltflüchtige, erd- und leibfeindliche Mystik meint, versteht sich von selbst!“
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Our ability to perceive quality in nature begins, as in art, with the pretty. It expands through successive stages of the beautiful to values as yet uncaptured by language."
Aldo Leopold, A Sand County
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"Der menschliche Geist ist so angelegt, dass kein Luxus und keine Schätze der Erde seine brennende Sehnsucht nach einer Erklärung seiner eigenen Existenz beruhigen können. Das ganze schwere Gewicht dieses Mysteriums, alle Fragen, die der Intellekt stellt, alles Leiden, alle Schmerzen, alle Qualen vergehen wie Nebel beim Aufgang der inneren Sonne, wenn das geheime Selbst, jenseits von Denken, Zweifel und Sterblichkeit, erkannt wird. Einmal erschaut, erleuchtet es die Finsternis des Geistes, so wie das Aufleuchten eines starken Blitzes die Dunkelheit der Nacht aufbricht, und verwandelt den Menschen …"
Carl Friedrich von Weizsäcker
Die Einheit der Natur
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“….to touch the coarse skin of an oak tree with one’s fingers is also, at the same moment, to experience one’s own tactility, to feel oneself touched by the tree…. we cannot but help but notice this curious reciprocity in our sensory experience: to perceive the world is also to feel the world perceiving us.”
David Abram
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The Moment
by Margaret Atwood
The moment when, after many years
of hard work and a long voyage
you stand in the centre of your room,
house, half-acre, square mile, island, country,
knowing at last how you got there,
and say, I own this,
is the same moment when the trees unloose
their soft arms from around you,
the birds take back their language,
the cliffs fissure and collapse,
the air moves back from you like a wave
and you can't breathe.
No, they whisper. You own nothing.
You were a visitor, time after time
climbing the hill, planting the flag, proclaiming.
We never belonged to you.
You never found us.
It was always the other way round.
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"Auch die Demokratie ist eine Staatsform, die der Fortentwicklung bedarf. Sie muss nicht nur jeden Menschen, sondern jedes Lebewesen ernst nehmen, die Brennessel wie den Kirschbaum, den Fisch, wie das Pferd."
Dr. Georg Winter
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"Ganzheiten zu fühlen ist eine unmittelbare Gegenwärtigkeit, die sich als ein fühlendes Gewahrsein zeigt, und zwar als ein holistisches Gewahrsein. Der Unterschied zu den beiden vorhergehenden Stufen ist, dass hierbei die Verbindungen gefühlt, und nicht nur mit Abstand aus einem beobachtenden Standpunkt heraus gedacht oder gesehen werden, und das macht diese Stufe noch holistischer. Es ist ein unmittelbares und direktes Fühlen und eine unmittelbare holistische Präsenz, die sich von Augenblick zu Augenblick zeigt, von einer gefühlten Ganzheit zur nächsten und zur nächsten, aus einem transpersonalen Gewahrsein heraus. Darin enthalten sind grobstoffliche und subtile Elemente. Dies ist eine interessante Art von Kognition, weil diese Kognition eine der ersten ist, die in einer subtilen Wahrnehmung verankert ist, und hier beginnt das Erkennen von Ganzheiten aus dem subtilen Bereich heraus. Weil diese Wahrnehmung aber zugleich transzendiert und bewahrt, ist sie auch in der grobstofflichen Wahrnehmung verankert."
Ken Wilber, Die höheren Bewusstseinsebenen
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".... there’s precious little chance for the wider, more-than-human world to break through our collective trance.
And yet it is breaking through, every day, and all around us. However completely we’ve cocooned ourselves within a virtual world of our own making, our animal body still takes its final directives from the larger biosphere—it still needs to breathe, and to drink fresh water. It remains susceptible to illness, to creaturely empathy, to the upwelling of earthly wonder. As planetary temperatures rise ever higher, as local weather patterns go haywire, the invisible atmosphere that conjoins our sentience with the sentience of cedar trees, sandhill cranes, and salmon becomes more insistently evident, more smog-ridden and palpable, muscling its way back into consciousness. As water sources dry up and disappear, as transportation lines are interrupted by climatic upheavals, as crops fail and infections spread, as economies falter and rolling power outages become commonplace, we look up from our flickering screens, trying to fathom what’s unfolding. And so we find ourselves immersed, once again, in the terrifying beauty of a world that exceeds all our knowing.
Is this biosphere our actual Body, the broad metabolism in which our smaller, more transient bodies are entangled? Is not our intelligence the interlaced activity of these leafing forests, these mountains conjuring clouds out of the fathomless blue, these tides laced with crude and strewn with bright-colored plastic? Have we yet reached the outer bound of our oblivion?"
David Abram
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„Der veruntreute Himmel ist der große Fehlbetrag unserer Zeit. Seinetwegen kann die Rechnung nicht in Ordnung kommen, weder in der Politik noch auch in der Wirtschaft, denn alles Menschliche entspringt derselbe Quelle. Eine konsequent gottlose Welt ist wie ein Bild ohne Perspektive. Ein Bild ohne Perspektive ist die Flachheit an sich. Ohne sie ist alles sinnlos (…) Einmal, wenn uns Technik, Sport und Realgesinnung zum Halse heraushängen werden, dann wird die Sehnsucht nach diesem Feuer, die Sehnsucht nach einem neuen metaphysischen Bewusstsein die fortgeschrittenste Empfindung einer verwegenen Avantgarde sein.“
Franz Werfel, Der veruntreute Himmel
Mensch-Sein
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Manchmal, wenn ein Vogel ruft
oder ein Wind geht in den Zweigen
oder ein Hund bellt im fernsten Gehöft,
dann muß ich lange lauschen und schweigen.
Meine Seele flieht zurück,
bis wo vor tausend vergessenen Jahren
der Vogel und der wehende Wind
mir ähnlich und meine Brüder waren.
Meine Seele wird Baum
und ein Tier und ein Wolkenweben.
Verwandelt und fremd kehrt sie zurück
und fragt mich. Wie soll ich Antwort geben?
(Hesse, September 1904)
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"Hättest du auch nur ein klein wenig mehr Sinn für das Grün, dann hätten wir so viel Bedeutsames für dich, du würdest darin ertrinken.“
„Wenn wir einen Blick für das Grün hätten, dann könnten wir etwas sehen, das umso interessanter wird, je näher wir ihm kommen. Wenn wir sehen könnten, was das Grün alles tut, wären wir nie wieder einsam, wäre uns nie wieder langweilig. Wenn wir wüssten, was das Grün will, müssten wir nicht wählen zwischen unseren eigenen Interessen und denen der Erde. Sie wären ein und dasselbe.“
Richard Powers, Die Wurzeln des Lebens
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Zimbelkraut
„Niedliche Pflanze, du kleidest der alten Ruine Gemäuer, rankend hinab und hinauf blühest du einsam für dich. Sey der Erinnerung Bild, die, der Einsamkeit traute Genossin, oft des vergangenen Glücks sinkendes Luftschloss, umgrünt.“
Ludwig Bechstein (1801–1860)
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„Was ist Herzenswahrnehmung? Die Lakota-Indianer*innen haben wir diese Art des Wahrnehmens einen terminus technicus geprägt: „čante ishta“, d.h. „Auge des Herzens“. Wie es der Lakota-Schamane John Fire Lame Deer ausdrückte: „Ich wollte fühlen, riechen, hören und sehen, doch nicht nur mit meinen Augen und dem Verstand. Ich wollte sehen mit čante ishta – dem Auge des Herzens. Dieses Auge betrachtet die Dinge auf seine Weise.“
Das „Auge des Herzens“ ist in der Lage, die lebendige beseelte Natur und ihre abertausend Wesen zu vernehmen, weil es nicht, wie der analytische Blick des Verstandes, trennt: hier Gefühl, also Subjekt, also Mensch – dort Materie, also Objekt, also seelenloses Etwas. Das „Auge des Herzens“ blickt mit Gefühl und Ausdruck in die Natur und deshalb kann es auch die Gefühle und Ausdrücke der Natur selbst wahrnehmen, Zusammenhänge erkennen, wo der Verstand nur Getrenntes sieht. Dieses Auge vernimmt nicht Objekte, sondern lebendige Wesen, ihre Stimmungen, ihre Bedeutungen, ihre Gesichter und was sich an und durch sie ausdrücken und versinnbildlichen will. Und deshalb hat für dieses Auge auch ein jedes Naturphänomen ein „Gesicht“. Ob es nun ein Wasserfall, ein Grashalm, ein Stern, ein Felsen, eine Wolke, ein Falke oder eine Spinne ist. Und genau deshalb ist dieses Auge in der Lage, die realsymbolisch-wesenhafte Ebene der Natur zu erfassen.“
Robert Josef Kozljanic, 100 Jahre radikale Zivilisationskritik und solidarische Lebensdemokratie, 2015
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«Was ist nun das bezeichnendste Merkmal des Zen-Asketentums in Verbindung mit der japanischen Naturliebe? Es liegt darin, daß man der Natur die volle Ehrfurcht entgegenbringt, die sie verdient. Darunter verstehen wir, daß man die Natur nicht als einen Gegenstand der Eroberung und der leichtfertigen Ausbeutung im Dienste des Menschen behandelt, sondern als Freundin und verschwistertes Wesen, das gleich uns selber eines Tages zur Buddhaschaft berufen ist.
Zen verlangt, daß wir der Natur als einer befreundeten, uns wohlgesinnten Macht begegnen, deren innerstes Wesen durchaus unserem eigenen gleich und jederzeit bereit ist, im Einklang mit unseren berechtigten Wünschen zu wirken.
Die Natur ist niemals ein Feind von uns, der uns ständig in drohender Haltung gegenübersteht. Sie ist keine Macht, die uns zerschmettern möchte, wenn wir sie nicht zerschmettern oder zu unserem Dienst in Fesseln schlagen.
Zen lehrt uns die Natur achten, die Natur lieben und ihr eigenes Leben mit ihr leben. Zen anerkennt, daß unsere Natur eins ist mit der gegenständlichen Natur, wenn auch nicht im mathematischen Sinn, aber in dem Sinn, daß die Natur in uns und wir in der Natur leben.»
Suzuki, D.T.: Zen und die Kultur Japans, Stuttgart 1941, S. 189
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Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.
Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris
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wieder im traum
lang mit den tieren gesprochen, dazugehören
zwischen igeln, wunsch, im mondschein
langen wagenreihen zu begegnen
so geschickt durch den schmalen luftraum
daß man denkt daß man jetzt nichts denkt
durch den boden hindurchsehen, unermeßlich
nach einer einzigen richtung. handsteine
kilometerlang heckenwildnis,
manchmal im gehen
stunden nur tiere betrachten, sittig und still
unter augen, gleichzeitig, noch in den steppen
kommen die seepferdchen weiter.
ungefragt namen behalten: rotfunkel
salamander, sprossen, aus der luft gebrochen
Nico Bleutge
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"... wenn wir nun begreifen, daß (der) Weltzerstörungslogik und ihrem Festgeschriebensein in entsprechenden Institutionen unsere Bewußtseinsverfassung zugrunde liegt, so drängt sich jedenfalls der Gedanke auf, daß ein neuer Weltzustand in erster Linie von einer inneren Transformation abhängt. Dann können wir uns dazu entschließen, hauptsächlich an dem Organ zu arbeiten, mit dem wir uns in der Welt orientieren statt an der (Außen-) Welt.
Unsere Subjektivität ist einerseits »göttlich«, gehört mit zum Ganzen. Andererseits kommt das, was daran beschränkt, genauer ich-beschränkt ist, jetzt verstärkt heraus, indem wir es in Massengütern ausleben. Die Multiplikation von Sachen ist in letzter Instanz ein Ausdruck von seelischer und geistiger Faulheit. Diese Faulheit, diese Schläfrigkeit, diese Kapitulation vor den Trägheitskräften in uns und außer uns wird die Ursache unseres Untergangs sein. Freilich hätten wir überwach sein müssen, Buddhas (»vollkommen Erwachte«) en masse, um die Weichenstellung in diese Richtung zu vermeiden. Jetzt gilt es, unser inneres Besetztsein vom Status quo zu überwinden. Angesichts der ansonsten ausweglosen Krise einer Struktur, die in sich selbst unaufhaltsam ist, sind Wege und Techniken (ja, gerade auch Techniken, deren Übung wiederholbar angeleitet werden kann) zur Befreiung unserer seelischen und geistigen Kräfte aus dem Gefängnis unserer Gewohnheiten und Errungenschaften das, was noch helfen kann." ... "Wie Lewis Mumford in seiner »Transformation of Man« (schon 1956) zeigte, ist ein neues Selbst, d. h. eben eine neue Gesamtverfassung des Bewußtseins, die grundlegende Voraussetzung einer zivilisatorischen Wende. Und er wie andere Lehrer seines Formats (etwa Jean Gebser, Teilhard de Chardin) stimmen weitestgehend darin überein, daß der ent- und unterscheidende Akzent dieser Welthaltung in Arbeit, Erkenntnis, Beziehung die Liebe sein wird, nicht aber als eine Sentimentalität, sondern als »Punkt Omega« einer Geistesverfassung, die selbstgewiß und herzoffen genug ist, um in gefühlter Resonanz mit allem übrigen Leben sein zu können. Da wissen wir, was wir zu lernen, was wir uns zu ermöglichen hätten."
Rudolf Bahro: Geistige Voraussetzungen
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"Wissenschaft oder zumindest Forschung werden unerwartete, neue Richtungen einschlagen, Wendungen, deren höchst fruchtbaren Untersuchungen die Orthodoxen nur ungern den Namen Wissenschaft zubilligen. Erkenntnisse werden die Trennungswand zwischen Seele und Materie schwächen. Es wird versucht werden, die exakte Wissenschaft auf psychologische und psychische Bereiche auszudehnen, aus der Erkenntnis der Wahrheit heraus, daß diese unter eigenen Gesetzen stehen, die nicht physische sind, die aber doch Gesetze sind, wenn sie auch von den irdischen Sinnen sich nicht fassen lassen und unendlich formbar und subtil sind...Daß sich diese Ideen entfalten und ihren Ausdruck finden, daß eine wahre, schöne, förderliche Umwelt entsteht, ist von ausschlaggebender Wichtigkeit...Nicht nur durch Intensivierung seiner gegenwärtigen Lebensweise, sondern durch die Größe seines mentalen und psychischen Wesens, durch eine Erkenntnis, die seine höhere Natur und deren Kräfte hervorruft, kann der Mensch sich erheben."
Sri Aurobindo (Der Zyklus der menschlichen Entwicklung)
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Mag auch die Spieglung im Teich
oft uns verschwimmen:
Wisse das Bild.
Erst in dem Doppelbereich
werden die Stimmen
ewig und mild.
Rilke, Die Sonette an Orpheus
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(Die Resonanztheorie ist) "… der Traditionslinie der älteren Kritischen Theorie von Marx über Benjamin und Adorno bis zu Fromm und Marcuse treu. Sie versucht, deren eher diffuse und nirgends ausformulierte Hoffnungen auf eine pazifizierte, mimetische, auratische, spontane, charismatische oder erotische Form der Weltbeziehung auf den Begriff zu bringen und als kohärentes Konzept zu entwickeln. Dabei geht es weniger um einen Wechsel des Weltbildes, um eine andere Theorie oder ein anderes Konzept des Lebens als vielmehr um einen Richtungswechsel der motivationalen Energien, die uns zur Welt und zum Leben in Beziehung setzen.“
Hartmut Rosa: Resonanz, eine Soziologie der Weltbeziehung, Suhrkamp, 7. Aufl., 2017, S. 736
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„Gate, gate, paragate, parasamgate, Bodhi Svaha heißt es im Herzsutra. Gegangen, gegangen, hinüber gegangen, gänzlich hinübergelangt, aaahhhh-ein erlöster Ausruf. Gegangen, gegangen, hinüber gegangen, hört sich an, als müssten wir von einem Ort zu einem anderen Ort gehen, aber dies ist nicht der Ansatz des Herz-Sutras. Das Gehen als Gegangen betrifft nicht nur den Gang von einer Gegenwart in eine Vergangenheit (gegangen), sondern auch den Gang von einer Gegenwart in die Zukunft, von einer Zukunft in die Gegenwart, von einer Vergangenheit in die Gegenwart und von einer Vergangenheit in die Zukunft, weil im Zustand des absoluten Idem keinerlei Trennung zwischen zeitlich bestimmten Orten besteht. Dieses Hinübergegangen belegt Augenblicklichkeit. Gerade hier HIER gehen wir und sind somit schon hinübergegangen. Hinübergehen kann auf zwei Weisen gelesen werden. Einmal als das Hinübergehen, das einen Orts-und Bewegungswechsel beinhaltet. Aber es ist auch möglich, Hinübergehen als ein Verblühen, als ein Vergehen, ein Sterben, ein Erlöschen zu beschreiben. Etwas zieht von dannen ‒ es geht hinüber, zum Beispiel, wenn jemand stirbt, sagte man früher häufig: Er ging von dannen.“
Ellen Ursula Wilmes: Die Phänomenalität des Phänomens der absoluten Idem im Zen unter Berufung auf das Shóbógenzó von Dogen Zenji - Eine Erarbeitung in Form einer Übersetzung des Zustandes der Leerheit oder Erleuchtung unter dem Blickwinkel der radikalen Lebensphänomenologie von Michel Henry. Praha, 2018.
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„Die Stadt als Interspezies-Relation zu denken, heißt, die Trennung von Natur und Kultur auf die Müllhalde der Geschichte zu werfen und stattdessen Brache und Ruine, Fuchsbau und Hochhaus als interpendenten städtischen Raum zu denken. Denkend und gegenwärtig handeln, wie es Donna Haraway fordert, heißt, die sozialen, ökonomischen und politischen Widersprüche, die die moderne Stadt erschaffen hat, anders zu wenden: Als einen Inter-spezies-Raum, der gerade dazu geschaffen ist, neue Subjektivierungsweisen und Solidaritäten zu erproben, gerade weil wir bereits zusammen leben.“
Marion von Osten, in: Taubentürme und Trampelpfade
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Es gibt einen grundlegenden Fehlschluss, dem konstruktivistische Wahrnehmungstheorien unterliegen. Thomas Fuchs legt dies mit Verweis auf John Searle dar: „Verwechselt wird dabei das intentionale Objekt der Wahrnehmung – der gesehene Baum selbst – mit der Wahrnehmung als Bewusstseinsvorgang, das heißt mit meinem Sehen des Baumes, das ich mir als solches bewusst machen kann, sodass der Baum nun zum bloßen Inhalt meines Bewusstseins zu werden scheint. Unter dieser Voraussetzung kann man zu dem Fehlschluss verleitet werden, wir sähen nur Bilder von Bäumen und nicht sie selbst. Nun ist freilich mein „Sehen des Baumes“ verschieden vom Baum als solchem – schon weil ich ihn nur aus einer bestimmten Perspektive sehe; doch was ich sehe, ist gleichwohl der Baum und nicht etwa ein „gesehener Baum“. Mit anderen Worten: Es gibt keinen Stellvertreter, kein Bild des Baumes „in meinem Bewusstsein“.“´
T. Fuchs lenkt damit den Blick auf interaktive Konzeptionen der Wahrnehmung. Wahrnehmung ist hier eine „aktive, sensomotorische und durch die Interessen der Lebewesen motivierte Erschließung der Umwelt“. … „Was ein Lebewesen wahrnimmt, ist auch abhängig von seiner Bewegung, und wie es sich bewegt, hängt ab von seinen Wahrnehmungen.“
Thomas Fuchs: Verteidigung des Menschen. Grundfragen einer verkörperten Anthropologie, Suhrkamp, 2020
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Dorthin geh, wo die Andern nicht sind,
Weit hinaus in die freie Einsamkeit,
Wo dir Wolken, Berge, Bäume und Wind
Großes reden von Später und Ewigkeit.
Und dort schöpfe, fasse und füll dir die Brust,
Daß – kommt einst die Stille zu dir als Braut –
Daß du die Hand ihr gibst in tiefster Lust,
Weil du schon lange mit ihr vertraut.
Joachim Ringelnatz (1883- 1934)
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"As qualia are the ontological basis of concepts, consciousness has ontological priority over matter. The world is exactly what it seems to be: a qualitative phenomenon unfolding in consciousness."
Fictions and simulations: The case for idealism by Alessandro Sanna, PhD / Aina S. Erice
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Das Anthropozän ist, wie die französischen Wissenschaftsphilosophen Christophe Bonneuil und Jean-Baptiste Fressoz zu Recht betont haben, ein Thanatozän, ein Zeitalter des Todes und des Tötens nicht nur der Menschen untereinander, sondern insbesondere auch der Tiere durch den Menschen. Im Zuge des Kolonialismus wurden die effizienten europäischen Feuerwaffen und Fallen auf alle Kontinente exportiert. 1864 montierte der Norweger Svend Foyn die von ihm entwickelte Kanonenharpune auf ein Boot. Mit dieser Harpune war es erstmals möglich, auch das größte Tier auf Erden, den Blauwal, erfolgreich zu jagen, der in den folgenden Jahrzehnten, wie viele andere Walarten ebenfalls, nahezu ausgerottet wurde. Mit Feuerwaffen wird nahezu überall auf der Welt Jagd auf Tiere gemacht, zu Wasser, zu Land und in der Luft. Es kann also nicht überraschen, dass die Tiere panische Angst vor Menschen haben. Sie müssen dazu oft gar nicht selbst erfahren haben, dass Menschen ihnen ans Leben wollen, vielmehr erlernen sie diese Angst von ihren Artgenossen und von anderen Tieren – sie sehen ja, dass alles wegrennt. Die Angst wird den Tieren durch Erziehung der nächsten Generation eingepflanzt. Das gelegentliche Exempel des Schreckens reicht aus, um ganze Populationen in steter Furcht zu halten.“
Jens Soentgen: Im Funktionskreis des Feindes, Über die Angst der Tiere im Anthropozän, MERKUR 2017
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"The 1960s revolutions against racism, sexism and classism nearly missed out the animals. This worried me. Ethics and politics at the time simply overlooked the nonhumans entirely. Everyone seemed to be just preoccupied with reducing the prejudices against humans. Hadn’t they heard of Darwin? I hated racism, sexism and classism, too, but why stop there? As a hospital scientist I believed that hundreds of other species of animals suffer fear, pain and distress as much as I did. Something had to be done about it. We needed to draw the parallel between the plight of the other species and our own. One day in 1970, lying in my bath at the old Sunningwell Manor, near Oxford, it suddenly came to me: SPECIESISM!"
Richard D. Ryder (2010/1970) „Speciesism Again: The original leaflet”
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Hinter der Nebelwand im Gehirn
gibt es noch andere Gegenden,
die blauer sind, als du denkst.
Wie klein sähe die Geschichte aus,
von oben gesehen. Kühl und hell,
schwerelos ginge dein Atem dort,
wo dein Ich nichts wiegt.
Hans Magnus Enzensberger
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Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit werden gatten,
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort
Novalis
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„Die Erfahrung der Aura beruht (…) auf der Übertragung einer in der menschlichen Gesellschaft geläufigen Reaktionsform auf das Verhältnis des Unbelebten oder der Natur zum Menschen. Der Angesehene oder angesehen sich Glaubende schlägt den Blick auf. Die Aura einer Erscheinung erfahren, heißt, sie mit dem Vermögen belehnen, den Blick aufzuschlagen.“
Walter Benjamin
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Awaken to the mystery of being here
and enter the quiet immensity of your own presence.
Have joy and peace in the temple of your senses.
Receive encouragement when new frontiers beckon.
Respond to the call of your gift and the courage to follow its path...
May your outer dignity mirror an inner dignity of soul.
May you take time to celebrate the quiet miracles that seek no attention.
JOHN O'DONOHUE
From “To Bless the Space Between Us”
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"Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die
Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht. – Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In
uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft.
Die Außenwelt ist die Schattenwelt, sie wirft ihren Schatten in das Lichtreich. Jetzt
scheint es uns freylich innerlich so dunkel, einsam, gestaltlos, aber wie ganz anders
wird es uns dünken, wenn diese Verfinsterung vorbey, und der Schattenkörper
hinweggerückt ist. Wir werden mehr genießen als je, denn unser Geist hat entbehrt."
Novalis, „Weg nach innen“
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An dem Tag, an dem
die Last auf deinen Schultern
unerträglich wird
und du strauchelst,
möge die Erde tanzen,
dir das Gleichgewicht wiederzugeben.
Und wenn deine Augen
hinterm grauen Fenster
zu Eis erstarren
und das Gespenst des Verlustes
sich in dich einschleicht,
möge ein Schwarm von Farben,
Tiefblau, Rot, Grün
und Azur, herbeikommen,
dich auf einer Art der Freude
aufzuwecken.
Wenn die Leinwand
des Denkens spröde wird
und ein Fleck Ozean
schwarz unter dir wächst,
möge ein Pfad gelben Mondlichts
sich über die Wellen legen
dich sicher ans Ufer zu führen.
John O’Donohue
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"Der Instinkt ist etwas, das über das Wissen hinausgeht. Wir besitzen zweifellos einige feinere Fasern, die es uns ermöglichen, Wahrheiten wahrzunehmen, wenn logische Deduktion oder jede andere absichtliche Anstrengung des Gehirns zwecklos ist.“
Nikola Tesla
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"Not only are we disconnected from nature but anaesthetised to the enormity of that loss. Many people don’t even realise what is missing because they’ve never known it, but underneath our preoccupations with getting ahead and being accepted, there is a deep well of pain: our unbelonging to the earth herself. "
Toko-pa Turner
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As this year draws to its end,
We give thanks for the gifts it brought
And how they became inlaid within
Where neither time nor tide can touch them...
Days when beloved faces shone brighter
With light from beyond themselves;
And from the granite of some secret sorrow
A stream of buried tears loosened.
We bless this year for all we learned,
For all we loved and lost
And for the quiet way it brought us
Nearer to our invisible destination.
JOHN O'DONOHUE
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Da ich ein Knabe war,
Rettet‘ ein Gott mich oft
Vom Geschrei und der Ruthe der Menschen,
Da spielt‘ ich sicher und gut
Mit den Blumen des Hains,
Und die Lüftchen des Himmels
Spielten mit mir.
Und wie du das Herz
Der Pflanzen erfreust,
Wenn sie entgegen dir
Die zarten Arme strecken,
So hast du mein Herz erfreut
Vater Helios! und, wie Endymion,
War ich dein Liebling,
Heilige Luna!
Oh all ihr treuen
Freundlichen Götter!
Daß ihr wüßtet,
Wie euch meine Seele geliebt!
Zwar damals rieff ich noch nicht
Euch mit Nahmen, auch ihr
Nanntet mich nie, wie die Menschen sich nennen
Als kennten sie sich.
Doch kannt‘ ich euch besser,
Als ich je die Menschen gekannt,
Ich verstand die Stille des Aethers
Der Menschen Worte verstand ich nie.
Mich erzog der Wohllaut
Des säuselnden Hains
Und lieben lernt‘ ich
Unter den Blumen.
Im Arme der Götter wuchs ich groß.
Friedrich Hölderlin (1770 – 1843)
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Nachts im Wald
Bist du nie des nachts durch Wald gegangen,
wo du deinen eignen Fuß nicht sahst?
Doch ein Wissen überwand dein Bangen:
Dich führt der Weg.
Hält dich Leid und Trübsal nie umfangen,
daß du zitterst, welchem Ziel du nahst?
Doch ein Wissen übermannt dein Bangen:
Dich führt dein Weg.
Christian Morgenstern (1871 – 1914)
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Verlange nichts von irgendwem,
lass jedermann sein Wesen,
du bist von irgendwelcher Fem
zum Richter nicht erlesen.
Tu still dein Werk und gib der Welt
allein von deinem Frieden,
und hab dein Sach auf nichts gestellt
und niemanden hienieden.
Christian Morgenstern (1871 – 1914)
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Stilles Reifen
Alles fügt sich und erfüllt sich,
musst es nur erwarten können
und dem Werden deines Glückes
Jahr‘ und Felder reichlich gönnen.
Bis du eines Tages jenen
reifen Duft der Körner spürest
und dich aufmachst und die Ernte
in die tiefen Speicher führest
Christian Morgenstern (1871 – 1914)
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Archaïscher Torso Apollos
Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,
sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.
Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;
und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.
Rainer Maria Rilke (1908)
Mein Geist legt sich wie Tau auf Moos.
Es riecht nach Wald
und meine Seele glitzert
im Licht.
Im Grenzbereich von Wahrnehmung, Begriff und Intuition entfaltet sich ein überraschendes, gegenwärtiges Weltbegegnen. Noch bevor etwas zur Sprache kommt, zeigt sich das Leben in all seiner Bedeutsamkeit. Das Denken will gezügelt werden und zur Stille kommen, damit das wahrgenommen werden kann, was von jeher sich zeigen will. In der Natur kommt etwas zum Ausdruck und will sich im Wahrgenommen-Werden entfalten. Das Leben des Menschen ist Begegnung mit dem Leben der Schöpfung. Was sich in dieser Begegnung zeigt, entsteht in dem Moment, ab dem wir uns darauf begriffslos einlassen. Plötzlich öffnet sich der Himmel, der Wind atmet auf, die Landschaft lächelt, die Pflanzen tanzen und die Tiere blicken uns an.
Die Natur sehen, heißt von ihr gesehen werden. Dies zu erkennen entspringt einem Vermögen außerhalb der Begriffe. Dieses Vermögen ist eines des Zusammenspiels aller Sinne. Auch der geistigen und der seelischen jeglicher Ausprägung. Dann wird ein Ton zu Bild und Gedanken und eine Idee zu Vorstellung und Tat. Gefühle beginnen zu klingen und der Kosmos hebt an zu singen. In der Natur zeigt sich das alles durchdringende, lebendige Leben und reicht uns die Hand. Davon Zeuge zu sein, ist eine Gnade und wert, es zu teilen.
wundersam-Forschende nehmen bei ihren Erkundungen und schöpferischen Entwicklungen eine vorreflexive, intuitive Haltung ein, bei der Phänomene in ihrer gegenwärtigen, ursprünglichen, unmittelbaren, vielfältig verflochtenen Beziehungskraft erscheinen bzw. wahrgenommen werden und dabei eine ungeahnte Bedeutsamkeit entfalten können – die Forschenden werden sich selbst staunend als betrachtende und erkundende Wesen fragwürdig.
Eine Figur, eine Stimmung, ein Gefühl, ein Windhauch, eine Berührung, eine Landschaft, eine Absicht, eine Frage etc. wollen sich im Wahrgenommen-Werden zeigen – und diese im Phänomen enthaltene Neigung (ab wann ist es eine Absicht?) zeigt sich der forschenden Betrachtung zumeist nur geahnt am Rande (des jeweiligen Bewusstseins) – da, wo das sich Zeigende (nicht das in der Wissenschaft ja zumeist gewaltsam Analysierte und Zurechtgebogene) in seiner Ganzheit und Würde am reinsten (nämlich eigentlich intim) gegeben ist.
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„Die Sprache der Natur also soll der Künstler reden lernen, und der Hörsaal, wo ein solcher Unterricht von ihm empfangen werden kann, ist nur die freie Natur selbst: Wald und Feld und Meer, Gebirge und Fluss und Tal, deren Formen und Farben er nun unablässig, ja lebenslänglich studieren soll, wo des Lernens und Übens kein Ende sein kann, und wo wir sagen dürfen, wie im Diwan steht: „Daß du nicht anders kannst / das macht dich groß!“ Ist nun aber die Seele durchdrungen von dem inneren Sinne dieser verschiedenen Formen, ist ihr die Ahnung von dem geheimen göttlichen Leben der Natur hell aufgegangen und hat die Hand die feste Darstellungsgabe, sowie auch das Auge den reinen, scharfen Blicks sich angebildet, ist endlich die Seele des Künstlers rein und durch und durch ein geheiligtes, freudiges Gefäß, den Lichtstrahl von oben aufzunehmen, dann werden Bilder vom Erdenleben einer neuen, höheren Art, welche den Beschauer selbst zu höherer Naturbetrachtung heraufheben und welche mystisch, orphisch in diesem Sinne zu nennen sind, entstehen m ü s s e n , und die Erdlebenbildkunst wird ihren Gipfel erreicht haben.“
Carl Gustav Carus, Briefe über Landschaftsmalerei, in: Reisen und Briefe, 2. Teil, hg. V. P. Mersbach u.E. vo. Sydow, Leipzig o.J., S. 275
zit. in: Robert Josef Kozljanic, Lebensphilosophie, Kohlhammer, Stuttgart, 2004 mit der Fußnote des Autors: „Dass Carus damit keine weltflüchtige, erd- und leibfeindliche Mystik meint, versteht sich von selbst!“
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Our ability to perceive quality in nature begins, as in art, with the pretty. It expands through successive stages of the beautiful to values as yet uncaptured by language."
Aldo Leopold, A Sand County
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"Der menschliche Geist ist so angelegt, dass kein Luxus und keine Schätze der Erde seine brennende Sehnsucht nach einer Erklärung seiner eigenen Existenz beruhigen können. Das ganze schwere Gewicht dieses Mysteriums, alle Fragen, die der Intellekt stellt, alles Leiden, alle Schmerzen, alle Qualen vergehen wie Nebel beim Aufgang der inneren Sonne, wenn das geheime Selbst, jenseits von Denken, Zweifel und Sterblichkeit, erkannt wird. Einmal erschaut, erleuchtet es die Finsternis des Geistes, so wie das Aufleuchten eines starken Blitzes die Dunkelheit der Nacht aufbricht, und verwandelt den Menschen …"
Carl Friedrich von Weizsäcker
Die Einheit der Natur
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“….to touch the coarse skin of an oak tree with one’s fingers is also, at the same moment, to experience one’s own tactility, to feel oneself touched by the tree…. we cannot but help but notice this curious reciprocity in our sensory experience: to perceive the world is also to feel the world perceiving us.”
David Abram
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The Moment
by Margaret Atwood
The moment when, after many years
of hard work and a long voyage
you stand in the centre of your room,
house, half-acre, square mile, island, country,
knowing at last how you got there,
and say, I own this,
is the same moment when the trees unloose
their soft arms from around you,
the birds take back their language,
the cliffs fissure and collapse,
the air moves back from you like a wave
and you can't breathe.
No, they whisper. You own nothing.
You were a visitor, time after time
climbing the hill, planting the flag, proclaiming.
We never belonged to you.
You never found us.
It was always the other way round.
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"Auch die Demokratie ist eine Staatsform, die der Fortentwicklung bedarf. Sie muss nicht nur jeden Menschen, sondern jedes Lebewesen ernst nehmen, die Brennessel wie den Kirschbaum, den Fisch, wie das Pferd."
Dr. Georg Winter
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"Ganzheiten zu fühlen ist eine unmittelbare Gegenwärtigkeit, die sich als ein fühlendes Gewahrsein zeigt, und zwar als ein holistisches Gewahrsein. Der Unterschied zu den beiden vorhergehenden Stufen ist, dass hierbei die Verbindungen gefühlt, und nicht nur mit Abstand aus einem beobachtenden Standpunkt heraus gedacht oder gesehen werden, und das macht diese Stufe noch holistischer. Es ist ein unmittelbares und direktes Fühlen und eine unmittelbare holistische Präsenz, die sich von Augenblick zu Augenblick zeigt, von einer gefühlten Ganzheit zur nächsten und zur nächsten, aus einem transpersonalen Gewahrsein heraus. Darin enthalten sind grobstoffliche und subtile Elemente. Dies ist eine interessante Art von Kognition, weil diese Kognition eine der ersten ist, die in einer subtilen Wahrnehmung verankert ist, und hier beginnt das Erkennen von Ganzheiten aus dem subtilen Bereich heraus. Weil diese Wahrnehmung aber zugleich transzendiert und bewahrt, ist sie auch in der grobstofflichen Wahrnehmung verankert."
Ken Wilber, Die höheren Bewusstseinsebenen
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".... there’s precious little chance for the wider, more-than-human world to break through our collective trance.
And yet it is breaking through, every day, and all around us. However completely we’ve cocooned ourselves within a virtual world of our own making, our animal body still takes its final directives from the larger biosphere—it still needs to breathe, and to drink fresh water. It remains susceptible to illness, to creaturely empathy, to the upwelling of earthly wonder. As planetary temperatures rise ever higher, as local weather patterns go haywire, the invisible atmosphere that conjoins our sentience with the sentience of cedar trees, sandhill cranes, and salmon becomes more insistently evident, more smog-ridden and palpable, muscling its way back into consciousness. As water sources dry up and disappear, as transportation lines are interrupted by climatic upheavals, as crops fail and infections spread, as economies falter and rolling power outages become commonplace, we look up from our flickering screens, trying to fathom what’s unfolding. And so we find ourselves immersed, once again, in the terrifying beauty of a world that exceeds all our knowing.
Is this biosphere our actual Body, the broad metabolism in which our smaller, more transient bodies are entangled? Is not our intelligence the interlaced activity of these leafing forests, these mountains conjuring clouds out of the fathomless blue, these tides laced with crude and strewn with bright-colored plastic? Have we yet reached the outer bound of our oblivion?"
David Abram
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„Der veruntreute Himmel ist der große Fehlbetrag unserer Zeit. Seinetwegen kann die Rechnung nicht in Ordnung kommen, weder in der Politik noch auch in der Wirtschaft, denn alles Menschliche entspringt derselbe Quelle. Eine konsequent gottlose Welt ist wie ein Bild ohne Perspektive. Ein Bild ohne Perspektive ist die Flachheit an sich. Ohne sie ist alles sinnlos (…) Einmal, wenn uns Technik, Sport und Realgesinnung zum Halse heraushängen werden, dann wird die Sehnsucht nach diesem Feuer, die Sehnsucht nach einem neuen metaphysischen Bewusstsein die fortgeschrittenste Empfindung einer verwegenen Avantgarde sein.“
Franz Werfel, Der veruntreute Himmel
Mensch-Sein
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Manchmal, wenn ein Vogel ruft
oder ein Wind geht in den Zweigen
oder ein Hund bellt im fernsten Gehöft,
dann muß ich lange lauschen und schweigen.
Meine Seele flieht zurück,
bis wo vor tausend vergessenen Jahren
der Vogel und der wehende Wind
mir ähnlich und meine Brüder waren.
Meine Seele wird Baum
und ein Tier und ein Wolkenweben.
Verwandelt und fremd kehrt sie zurück
und fragt mich. Wie soll ich Antwort geben?
(Hesse, September 1904)
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"Hättest du auch nur ein klein wenig mehr Sinn für das Grün, dann hätten wir so viel Bedeutsames für dich, du würdest darin ertrinken.“
„Wenn wir einen Blick für das Grün hätten, dann könnten wir etwas sehen, das umso interessanter wird, je näher wir ihm kommen. Wenn wir sehen könnten, was das Grün alles tut, wären wir nie wieder einsam, wäre uns nie wieder langweilig. Wenn wir wüssten, was das Grün will, müssten wir nicht wählen zwischen unseren eigenen Interessen und denen der Erde. Sie wären ein und dasselbe.“
Richard Powers, Die Wurzeln des Lebens
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Zimbelkraut
„Niedliche Pflanze, du kleidest der alten Ruine Gemäuer, rankend hinab und hinauf blühest du einsam für dich. Sey der Erinnerung Bild, die, der Einsamkeit traute Genossin, oft des vergangenen Glücks sinkendes Luftschloss, umgrünt.“
Ludwig Bechstein (1801–1860)
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„Was ist Herzenswahrnehmung? Die Lakota-Indianer*innen haben wir diese Art des Wahrnehmens einen terminus technicus geprägt: „čante ishta“, d.h. „Auge des Herzens“. Wie es der Lakota-Schamane John Fire Lame Deer ausdrückte: „Ich wollte fühlen, riechen, hören und sehen, doch nicht nur mit meinen Augen und dem Verstand. Ich wollte sehen mit čante ishta – dem Auge des Herzens. Dieses Auge betrachtet die Dinge auf seine Weise.“
Das „Auge des Herzens“ ist in der Lage, die lebendige beseelte Natur und ihre abertausend Wesen zu vernehmen, weil es nicht, wie der analytische Blick des Verstandes, trennt: hier Gefühl, also Subjekt, also Mensch – dort Materie, also Objekt, also seelenloses Etwas. Das „Auge des Herzens“ blickt mit Gefühl und Ausdruck in die Natur und deshalb kann es auch die Gefühle und Ausdrücke der Natur selbst wahrnehmen, Zusammenhänge erkennen, wo der Verstand nur Getrenntes sieht. Dieses Auge vernimmt nicht Objekte, sondern lebendige Wesen, ihre Stimmungen, ihre Bedeutungen, ihre Gesichter und was sich an und durch sie ausdrücken und versinnbildlichen will. Und deshalb hat für dieses Auge auch ein jedes Naturphänomen ein „Gesicht“. Ob es nun ein Wasserfall, ein Grashalm, ein Stern, ein Felsen, eine Wolke, ein Falke oder eine Spinne ist. Und genau deshalb ist dieses Auge in der Lage, die realsymbolisch-wesenhafte Ebene der Natur zu erfassen.“
Robert Josef Kozljanic, 100 Jahre radikale Zivilisationskritik und solidarische Lebensdemokratie, 2015
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«Was ist nun das bezeichnendste Merkmal des Zen-Asketentums in Verbindung mit der japanischen Naturliebe? Es liegt darin, daß man der Natur die volle Ehrfurcht entgegenbringt, die sie verdient. Darunter verstehen wir, daß man die Natur nicht als einen Gegenstand der Eroberung und der leichtfertigen Ausbeutung im Dienste des Menschen behandelt, sondern als Freundin und verschwistertes Wesen, das gleich uns selber eines Tages zur Buddhaschaft berufen ist.
Zen verlangt, daß wir der Natur als einer befreundeten, uns wohlgesinnten Macht begegnen, deren innerstes Wesen durchaus unserem eigenen gleich und jederzeit bereit ist, im Einklang mit unseren berechtigten Wünschen zu wirken.
Die Natur ist niemals ein Feind von uns, der uns ständig in drohender Haltung gegenübersteht. Sie ist keine Macht, die uns zerschmettern möchte, wenn wir sie nicht zerschmettern oder zu unserem Dienst in Fesseln schlagen.
Zen lehrt uns die Natur achten, die Natur lieben und ihr eigenes Leben mit ihr leben. Zen anerkennt, daß unsere Natur eins ist mit der gegenständlichen Natur, wenn auch nicht im mathematischen Sinn, aber in dem Sinn, daß die Natur in uns und wir in der Natur leben.»
Suzuki, D.T.: Zen und die Kultur Japans, Stuttgart 1941, S. 189
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Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.
Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris
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wieder im traum
lang mit den tieren gesprochen, dazugehören
zwischen igeln, wunsch, im mondschein
langen wagenreihen zu begegnen
so geschickt durch den schmalen luftraum
daß man denkt daß man jetzt nichts denkt
durch den boden hindurchsehen, unermeßlich
nach einer einzigen richtung. handsteine
kilometerlang heckenwildnis,
manchmal im gehen
stunden nur tiere betrachten, sittig und still
unter augen, gleichzeitig, noch in den steppen
kommen die seepferdchen weiter.
ungefragt namen behalten: rotfunkel
salamander, sprossen, aus der luft gebrochen
Nico Bleutge
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"... wenn wir nun begreifen, daß (der) Weltzerstörungslogik und ihrem Festgeschriebensein in entsprechenden Institutionen unsere Bewußtseinsverfassung zugrunde liegt, so drängt sich jedenfalls der Gedanke auf, daß ein neuer Weltzustand in erster Linie von einer inneren Transformation abhängt. Dann können wir uns dazu entschließen, hauptsächlich an dem Organ zu arbeiten, mit dem wir uns in der Welt orientieren statt an der (Außen-) Welt.
Unsere Subjektivität ist einerseits »göttlich«, gehört mit zum Ganzen. Andererseits kommt das, was daran beschränkt, genauer ich-beschränkt ist, jetzt verstärkt heraus, indem wir es in Massengütern ausleben. Die Multiplikation von Sachen ist in letzter Instanz ein Ausdruck von seelischer und geistiger Faulheit. Diese Faulheit, diese Schläfrigkeit, diese Kapitulation vor den Trägheitskräften in uns und außer uns wird die Ursache unseres Untergangs sein. Freilich hätten wir überwach sein müssen, Buddhas (»vollkommen Erwachte«) en masse, um die Weichenstellung in diese Richtung zu vermeiden. Jetzt gilt es, unser inneres Besetztsein vom Status quo zu überwinden. Angesichts der ansonsten ausweglosen Krise einer Struktur, die in sich selbst unaufhaltsam ist, sind Wege und Techniken (ja, gerade auch Techniken, deren Übung wiederholbar angeleitet werden kann) zur Befreiung unserer seelischen und geistigen Kräfte aus dem Gefängnis unserer Gewohnheiten und Errungenschaften das, was noch helfen kann." ... "Wie Lewis Mumford in seiner »Transformation of Man« (schon 1956) zeigte, ist ein neues Selbst, d. h. eben eine neue Gesamtverfassung des Bewußtseins, die grundlegende Voraussetzung einer zivilisatorischen Wende. Und er wie andere Lehrer seines Formats (etwa Jean Gebser, Teilhard de Chardin) stimmen weitestgehend darin überein, daß der ent- und unterscheidende Akzent dieser Welthaltung in Arbeit, Erkenntnis, Beziehung die Liebe sein wird, nicht aber als eine Sentimentalität, sondern als »Punkt Omega« einer Geistesverfassung, die selbstgewiß und herzoffen genug ist, um in gefühlter Resonanz mit allem übrigen Leben sein zu können. Da wissen wir, was wir zu lernen, was wir uns zu ermöglichen hätten."
Rudolf Bahro: Geistige Voraussetzungen
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"Wissenschaft oder zumindest Forschung werden unerwartete, neue Richtungen einschlagen, Wendungen, deren höchst fruchtbaren Untersuchungen die Orthodoxen nur ungern den Namen Wissenschaft zubilligen. Erkenntnisse werden die Trennungswand zwischen Seele und Materie schwächen. Es wird versucht werden, die exakte Wissenschaft auf psychologische und psychische Bereiche auszudehnen, aus der Erkenntnis der Wahrheit heraus, daß diese unter eigenen Gesetzen stehen, die nicht physische sind, die aber doch Gesetze sind, wenn sie auch von den irdischen Sinnen sich nicht fassen lassen und unendlich formbar und subtil sind...Daß sich diese Ideen entfalten und ihren Ausdruck finden, daß eine wahre, schöne, förderliche Umwelt entsteht, ist von ausschlaggebender Wichtigkeit...Nicht nur durch Intensivierung seiner gegenwärtigen Lebensweise, sondern durch die Größe seines mentalen und psychischen Wesens, durch eine Erkenntnis, die seine höhere Natur und deren Kräfte hervorruft, kann der Mensch sich erheben."
Sri Aurobindo (Der Zyklus der menschlichen Entwicklung)
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Mag auch die Spieglung im Teich
oft uns verschwimmen:
Wisse das Bild.
Erst in dem Doppelbereich
werden die Stimmen
ewig und mild.
Rilke, Die Sonette an Orpheus
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(Die Resonanztheorie ist) "… der Traditionslinie der älteren Kritischen Theorie von Marx über Benjamin und Adorno bis zu Fromm und Marcuse treu. Sie versucht, deren eher diffuse und nirgends ausformulierte Hoffnungen auf eine pazifizierte, mimetische, auratische, spontane, charismatische oder erotische Form der Weltbeziehung auf den Begriff zu bringen und als kohärentes Konzept zu entwickeln. Dabei geht es weniger um einen Wechsel des Weltbildes, um eine andere Theorie oder ein anderes Konzept des Lebens als vielmehr um einen Richtungswechsel der motivationalen Energien, die uns zur Welt und zum Leben in Beziehung setzen.“
Hartmut Rosa: Resonanz, eine Soziologie der Weltbeziehung, Suhrkamp, 7. Aufl., 2017, S. 736
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„Gate, gate, paragate, parasamgate, Bodhi Svaha heißt es im Herzsutra. Gegangen, gegangen, hinüber gegangen, gänzlich hinübergelangt, aaahhhh-ein erlöster Ausruf. Gegangen, gegangen, hinüber gegangen, hört sich an, als müssten wir von einem Ort zu einem anderen Ort gehen, aber dies ist nicht der Ansatz des Herz-Sutras. Das Gehen als Gegangen betrifft nicht nur den Gang von einer Gegenwart in eine Vergangenheit (gegangen), sondern auch den Gang von einer Gegenwart in die Zukunft, von einer Zukunft in die Gegenwart, von einer Vergangenheit in die Gegenwart und von einer Vergangenheit in die Zukunft, weil im Zustand des absoluten Idem keinerlei Trennung zwischen zeitlich bestimmten Orten besteht. Dieses Hinübergegangen belegt Augenblicklichkeit. Gerade hier HIER gehen wir und sind somit schon hinübergegangen. Hinübergehen kann auf zwei Weisen gelesen werden. Einmal als das Hinübergehen, das einen Orts-und Bewegungswechsel beinhaltet. Aber es ist auch möglich, Hinübergehen als ein Verblühen, als ein Vergehen, ein Sterben, ein Erlöschen zu beschreiben. Etwas zieht von dannen ‒ es geht hinüber, zum Beispiel, wenn jemand stirbt, sagte man früher häufig: Er ging von dannen.“
Ellen Ursula Wilmes: Die Phänomenalität des Phänomens der absoluten Idem im Zen unter Berufung auf das Shóbógenzó von Dogen Zenji - Eine Erarbeitung in Form einer Übersetzung des Zustandes der Leerheit oder Erleuchtung unter dem Blickwinkel der radikalen Lebensphänomenologie von Michel Henry. Praha, 2018.
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„Die Stadt als Interspezies-Relation zu denken, heißt, die Trennung von Natur und Kultur auf die Müllhalde der Geschichte zu werfen und stattdessen Brache und Ruine, Fuchsbau und Hochhaus als interpendenten städtischen Raum zu denken. Denkend und gegenwärtig handeln, wie es Donna Haraway fordert, heißt, die sozialen, ökonomischen und politischen Widersprüche, die die moderne Stadt erschaffen hat, anders zu wenden: Als einen Inter-spezies-Raum, der gerade dazu geschaffen ist, neue Subjektivierungsweisen und Solidaritäten zu erproben, gerade weil wir bereits zusammen leben.“
Marion von Osten, in: Taubentürme und Trampelpfade
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Es gibt einen grundlegenden Fehlschluss, dem konstruktivistische Wahrnehmungstheorien unterliegen. Thomas Fuchs legt dies mit Verweis auf John Searle dar: „Verwechselt wird dabei das intentionale Objekt der Wahrnehmung – der gesehene Baum selbst – mit der Wahrnehmung als Bewusstseinsvorgang, das heißt mit meinem Sehen des Baumes, das ich mir als solches bewusst machen kann, sodass der Baum nun zum bloßen Inhalt meines Bewusstseins zu werden scheint. Unter dieser Voraussetzung kann man zu dem Fehlschluss verleitet werden, wir sähen nur Bilder von Bäumen und nicht sie selbst. Nun ist freilich mein „Sehen des Baumes“ verschieden vom Baum als solchem – schon weil ich ihn nur aus einer bestimmten Perspektive sehe; doch was ich sehe, ist gleichwohl der Baum und nicht etwa ein „gesehener Baum“. Mit anderen Worten: Es gibt keinen Stellvertreter, kein Bild des Baumes „in meinem Bewusstsein“.“´
T. Fuchs lenkt damit den Blick auf interaktive Konzeptionen der Wahrnehmung. Wahrnehmung ist hier eine „aktive, sensomotorische und durch die Interessen der Lebewesen motivierte Erschließung der Umwelt“. … „Was ein Lebewesen wahrnimmt, ist auch abhängig von seiner Bewegung, und wie es sich bewegt, hängt ab von seinen Wahrnehmungen.“
Thomas Fuchs: Verteidigung des Menschen. Grundfragen einer verkörperten Anthropologie, Suhrkamp, 2020
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Dorthin geh, wo die Andern nicht sind,
Weit hinaus in die freie Einsamkeit,
Wo dir Wolken, Berge, Bäume und Wind
Großes reden von Später und Ewigkeit.
Und dort schöpfe, fasse und füll dir die Brust,
Daß – kommt einst die Stille zu dir als Braut –
Daß du die Hand ihr gibst in tiefster Lust,
Weil du schon lange mit ihr vertraut.
Joachim Ringelnatz (1883- 1934)
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"As qualia are the ontological basis of concepts, consciousness has ontological priority over matter. The world is exactly what it seems to be: a qualitative phenomenon unfolding in consciousness."
Fictions and simulations: The case for idealism by Alessandro Sanna, PhD / Aina S. Erice
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Das Anthropozän ist, wie die französischen Wissenschaftsphilosophen Christophe Bonneuil und Jean-Baptiste Fressoz zu Recht betont haben, ein Thanatozän, ein Zeitalter des Todes und des Tötens nicht nur der Menschen untereinander, sondern insbesondere auch der Tiere durch den Menschen. Im Zuge des Kolonialismus wurden die effizienten europäischen Feuerwaffen und Fallen auf alle Kontinente exportiert. 1864 montierte der Norweger Svend Foyn die von ihm entwickelte Kanonenharpune auf ein Boot. Mit dieser Harpune war es erstmals möglich, auch das größte Tier auf Erden, den Blauwal, erfolgreich zu jagen, der in den folgenden Jahrzehnten, wie viele andere Walarten ebenfalls, nahezu ausgerottet wurde. Mit Feuerwaffen wird nahezu überall auf der Welt Jagd auf Tiere gemacht, zu Wasser, zu Land und in der Luft. Es kann also nicht überraschen, dass die Tiere panische Angst vor Menschen haben. Sie müssen dazu oft gar nicht selbst erfahren haben, dass Menschen ihnen ans Leben wollen, vielmehr erlernen sie diese Angst von ihren Artgenossen und von anderen Tieren – sie sehen ja, dass alles wegrennt. Die Angst wird den Tieren durch Erziehung der nächsten Generation eingepflanzt. Das gelegentliche Exempel des Schreckens reicht aus, um ganze Populationen in steter Furcht zu halten.“
Jens Soentgen: Im Funktionskreis des Feindes, Über die Angst der Tiere im Anthropozän, MERKUR 2017
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"The 1960s revolutions against racism, sexism and classism nearly missed out the animals. This worried me. Ethics and politics at the time simply overlooked the nonhumans entirely. Everyone seemed to be just preoccupied with reducing the prejudices against humans. Hadn’t they heard of Darwin? I hated racism, sexism and classism, too, but why stop there? As a hospital scientist I believed that hundreds of other species of animals suffer fear, pain and distress as much as I did. Something had to be done about it. We needed to draw the parallel between the plight of the other species and our own. One day in 1970, lying in my bath at the old Sunningwell Manor, near Oxford, it suddenly came to me: SPECIESISM!"
Richard D. Ryder (2010/1970) „Speciesism Again: The original leaflet”
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Hinter der Nebelwand im Gehirn
gibt es noch andere Gegenden,
die blauer sind, als du denkst.
Wie klein sähe die Geschichte aus,
von oben gesehen. Kühl und hell,
schwerelos ginge dein Atem dort,
wo dein Ich nichts wiegt.
Hans Magnus Enzensberger
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Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit werden gatten,
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort
Novalis
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„Die Erfahrung der Aura beruht (…) auf der Übertragung einer in der menschlichen Gesellschaft geläufigen Reaktionsform auf das Verhältnis des Unbelebten oder der Natur zum Menschen. Der Angesehene oder angesehen sich Glaubende schlägt den Blick auf. Die Aura einer Erscheinung erfahren, heißt, sie mit dem Vermögen belehnen, den Blick aufzuschlagen.“
Walter Benjamin
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Awaken to the mystery of being here
and enter the quiet immensity of your own presence.
Have joy and peace in the temple of your senses.
Receive encouragement when new frontiers beckon.
Respond to the call of your gift and the courage to follow its path...
May your outer dignity mirror an inner dignity of soul.
May you take time to celebrate the quiet miracles that seek no attention.
JOHN O'DONOHUE
From “To Bless the Space Between Us”
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"Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die
Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht. – Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In
uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft.
Die Außenwelt ist die Schattenwelt, sie wirft ihren Schatten in das Lichtreich. Jetzt
scheint es uns freylich innerlich so dunkel, einsam, gestaltlos, aber wie ganz anders
wird es uns dünken, wenn diese Verfinsterung vorbey, und der Schattenkörper
hinweggerückt ist. Wir werden mehr genießen als je, denn unser Geist hat entbehrt."
Novalis, „Weg nach innen“
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An dem Tag, an dem
die Last auf deinen Schultern
unerträglich wird
und du strauchelst,
möge die Erde tanzen,
dir das Gleichgewicht wiederzugeben.
Und wenn deine Augen
hinterm grauen Fenster
zu Eis erstarren
und das Gespenst des Verlustes
sich in dich einschleicht,
möge ein Schwarm von Farben,
Tiefblau, Rot, Grün
und Azur, herbeikommen,
dich auf einer Art der Freude
aufzuwecken.
Wenn die Leinwand
des Denkens spröde wird
und ein Fleck Ozean
schwarz unter dir wächst,
möge ein Pfad gelben Mondlichts
sich über die Wellen legen
dich sicher ans Ufer zu führen.
John O’Donohue
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"Der Instinkt ist etwas, das über das Wissen hinausgeht. Wir besitzen zweifellos einige feinere Fasern, die es uns ermöglichen, Wahrheiten wahrzunehmen, wenn logische Deduktion oder jede andere absichtliche Anstrengung des Gehirns zwecklos ist.“
Nikola Tesla
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"Not only are we disconnected from nature but anaesthetised to the enormity of that loss. Many people don’t even realise what is missing because they’ve never known it, but underneath our preoccupations with getting ahead and being accepted, there is a deep well of pain: our unbelonging to the earth herself. "
Toko-pa Turner
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As this year draws to its end,
We give thanks for the gifts it brought
And how they became inlaid within
Where neither time nor tide can touch them...
Days when beloved faces shone brighter
With light from beyond themselves;
And from the granite of some secret sorrow
A stream of buried tears loosened.
We bless this year for all we learned,
For all we loved and lost
And for the quiet way it brought us
Nearer to our invisible destination.
JOHN O'DONOHUE
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Da ich ein Knabe war,
Rettet‘ ein Gott mich oft
Vom Geschrei und der Ruthe der Menschen,
Da spielt‘ ich sicher und gut
Mit den Blumen des Hains,
Und die Lüftchen des Himmels
Spielten mit mir.
Und wie du das Herz
Der Pflanzen erfreust,
Wenn sie entgegen dir
Die zarten Arme strecken,
So hast du mein Herz erfreut
Vater Helios! und, wie Endymion,
War ich dein Liebling,
Heilige Luna!
Oh all ihr treuen
Freundlichen Götter!
Daß ihr wüßtet,
Wie euch meine Seele geliebt!
Zwar damals rieff ich noch nicht
Euch mit Nahmen, auch ihr
Nanntet mich nie, wie die Menschen sich nennen
Als kennten sie sich.
Doch kannt‘ ich euch besser,
Als ich je die Menschen gekannt,
Ich verstand die Stille des Aethers
Der Menschen Worte verstand ich nie.
Mich erzog der Wohllaut
Des säuselnden Hains
Und lieben lernt‘ ich
Unter den Blumen.
Im Arme der Götter wuchs ich groß.
Friedrich Hölderlin (1770 – 1843)
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Nachts im Wald
Bist du nie des nachts durch Wald gegangen,
wo du deinen eignen Fuß nicht sahst?
Doch ein Wissen überwand dein Bangen:
Dich führt der Weg.
Hält dich Leid und Trübsal nie umfangen,
daß du zitterst, welchem Ziel du nahst?
Doch ein Wissen übermannt dein Bangen:
Dich führt dein Weg.
Christian Morgenstern (1871 – 1914)
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Verlange nichts von irgendwem,
lass jedermann sein Wesen,
du bist von irgendwelcher Fem
zum Richter nicht erlesen.
Tu still dein Werk und gib der Welt
allein von deinem Frieden,
und hab dein Sach auf nichts gestellt
und niemanden hienieden.
Christian Morgenstern (1871 – 1914)
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Stilles Reifen
Alles fügt sich und erfüllt sich,
musst es nur erwarten können
und dem Werden deines Glückes
Jahr‘ und Felder reichlich gönnen.
Bis du eines Tages jenen
reifen Duft der Körner spürest
und dich aufmachst und die Ernte
in die tiefen Speicher führest
Christian Morgenstern (1871 – 1914)
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Archaïscher Torso Apollos
Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,
sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.
Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;
und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.
Rainer Maria Rilke (1908)