Das vom Projekt "Forschende Kunst" inspirierte und aus diesem heraus in Gründung befindliche „Institut für ästhetisches Besinnen“ entwickelt Methoden und Prozesse, um die Wahrnehmung zu schulen. „Ästhetisches Besinnen“ heißt zuallererst, auf das zu achten, was einem im Augenblick begegnet und dessen Qualitäten beurteilen und schätzen zu lernen.
Wir lernen durch das „Institut für ästhetisches Besinnen“ bewusst wahrzunehmen, erkunden die Dimensionen unseres Denkens und Handelns und schärfen unsere Urteilskraft. Derart geschult wenden wir uns dem zu, was uns angeht und was wir gestalten können. Wir erfahren uns als schöpferische Wesen.
Der Mensch kommt im Alltag kaum mehr zu sich, noch weniger finden tiefe Begegnungen statt. Wir sind von Gegebenem umgeben, mit dem wir uns seit jeher arrangieren. Wir sind Realisten: Die Welt ist das, was uns umgibt mit all den Dingen und Wesen darin, die wir bezeichnen und hand-, vielleicht sogar lieb haben. Und die Erde ist der Planet, auf dem wir kreisend durchs Weltall rasen und der uns im besten Fall trägt und ernährt. Hinzu kommen Technik, Kultur und Organisation – von Menschen gemachte Strukturen und Prozesse, die wir mehr oder weniger zu regeln imstande sind. Wer so in der Welt und auf der Erde ist, weiß noch nichts von sich und der Welt, geschweige denn von der Erde.
Die Erde trägt Leben und Tod, die Welt ist Offenheit und Verstellung, in der wir Freiheit und Erkenntnis ebenso wie Täuschung und Ohnmacht erfahren. So steht die Welt für alles, was möglich, aber auch unmöglich ist und die Erde für alles Gebende, aber auch Nehmende und Nötigende. Es sind gegenteilige, sich einschränkende und zugleich bereichernde Aspekte wie Notwendigkeit und Freiheit, Geschlossenheit und Offenheit, Heimat und Wanderung, Gebundenheit und Beweglichkeit, Fühlen und Denken, die sich aus Erde und Welt entfalten.
Diese ebenso gegenläufigen wie einander ergänzenden Dimensionen lernen wir mit Hilfe der Ästhetik kennen: Wenn wir Welt und Erde spüren und uns über dieses Spüren ein Urteil bilden, können wir die Kontraste, die sich darin zeigen, überhaupt erst ausdifferenzieren und ausschöpfen. Erst durch solche bewusst erlebten Wahrnehmungen kommen wir wirklich zu uns, zu anderen und zur Welt.
In zeitgemäßeren Worten: Die Offenheit der Welt heißt heute gemeinhin „Innovation“ und den Ansprüchen der Erde begegnen wir mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“. Durch ästhetisches Besinnen nehmen wir solche Dimensionen wahr und begeben uns auf neue Weise in uralte Zusammenhänge. Das ist kein Rückschritt, vielmehr ist es eine befreiende Erfahrung. Ästhetisches Besinnen bringt Nachhaltigkeit und Innovation in einen tragenden Zusammenhang – nämlich letztlich Erde und Welt zu sein. Der alte Dreiklang des Wahren, Guten und Schönen klingt hier an und stimmt uns ein auf das, was uns wirklich angeht und berührt.
Das Institut für ästhetisches Besinnen vermittelt das Glück und die Freiheit, die aus der bewussten Wahrnehmung erwächst. Es schafft dadurch neue Möglichkeiten, in der Welt zu sein und diese zu gestalten. Ästhetisches Besinnen macht den Menschen freier, selbstbewusster und selbstverantwortlicher. Das vom Institut für ästhetisches Besinnen entwickelte WE-Modell, das Ästhetik als grundlegend für die Eröffnung der Dimensionen von Welt und Erde begreift, initiiert, unterstützt und begleitet diesen Prozess.
Dass die deutschen Begriffe „Welt“ und „Erde“ im Englischen (World) und (Earth) mit den gleichen Anfangsbuchstaben beginnen, erlaubt es, den Prozess, der sich im ästhetischen Besinnen zwischen Welt und Erde entfaltet und den wir über das Institut reproduzieren und einüben möchten, mit „WE-Prozess“ zu bezeichnen. Das WE im Sinne von „Wir“ kommt uns dabei durchaus gelegen, da das Institut für ästhetisches Besinnen gerade auch im Sinne der Teilhabe bzw. Partizipation und des Commons-Gedanken tätig ist.
Michael Schels, 2015
Anmerkung: Das Institut für ästhetisches Besinnen wurde bislang noch nicht umgesetzt - die damit verbundenen Ideen und Engagements haben jedoch das Projekt "Dialogische Ästhetik im Anthropozän" maßgeblich auf den Weg gebracht.