Oder: Überlegungen zur Förderung post-anthropozäner, lebendiger und zukunftsfähiger Einstellungen und Perspektiven aus Sicht einer Dialogischen Ästhetik im Anthropozän.
In einer Zeit der Überschreitung von Kapazitätsgrenzen globalen Ausmaßes (dem sogenannten Anthropozän) bahnt sich eine neue Epoche - ein ökozoisches Zeitalter - an. In dieser notgedrungenen Transformation wird sich zeigen, ob der Mensch (mehr als Gattungswesen denn als Individuum) in der Lage ist, den erforderlichen Wandel unter prekären Verhältnissen und mit unbekanntem Ausgang friedlich und dem Leben zugewandt auf gänzlich neue Weise zu gestalten. Oder ob die gegenwärtige Zivilisation ihren Untergang sehenden Auges weiterhin als Fortschritt kaschiert (im Anthropozän verharrt) und ihr Schicksal damit besiegelt – mit einer spektakulären, aber scheinbar relativ ungefährlichen, voyeurhaften Lust, die gerade spürbar in reinen Horror angesichts einer Katastrophe umschlägt, mit der niemand wirklich rechnen möchte. „Der Mensch“ und „die Menschheit“ ist schon lange nicht mehr als einheitliche, kalkulierbare Größe zu verstehen, sondern als eine Lebensform unter unzähligen anderen, die sich jedoch von den anderen Lebensformen auf diesem Planeten insofern unterscheidet, als sie mit der Fähigkeit ausgestattet ist, ihren eigenen Status wahrzunehmen und zu reflektieren und die dadurch ebenso selbstlos und von Vertrauen, vielleicht sogar von Liebe getragen in der Welt wirkt. Oder man kann den Menschen in seiner Besonderheit auch als eine Lebensform verstehen, die seit jeher zu ihrem eigenen Vorteil dem „blinden“ Vertrauen abschwört und kalkulierend auf Kosten anderer denkt, fühlt und handelt. Oder als eine Lebensform, die zwar in dieser Welt lebt, dabei jedoch von Vorstellungen einer jenseitigen oder andersweltlichen Utopie (im Jenseits, auf einem anderen Planeten oder in ferner Zukunft) durchdrungen ist; die Aufmerksamkeit richtet sich dann überwiegend auf sprachlich tradierte und vermittelte Vorstellungen und Phantasien, ohne noch die lebendige Welt in sich und um sich herum wahrzunehmen, geschweige denn achten und schützen zu wollen. Die beiden letzteren distanziert-kalkulierend-abstrahierenden, das narzisstische, künstlich aufgeblasene Selbst befeuernden Varianten überwiegen in einer Welt, in der man gewohnheitsmäßig mehr auf Abstand, Ausbeutung und Profit vertraut als auf eine Kultur der Nähe, der Berührung und des Berührt-Werdens, mithin auf eine Kultur des geteilten Seins. Die Kultur der Ausbeutung und der materiellen Selbststeigerung durchdringt unsere monetär vermittelte Sicht auf die Wirklichkeit – wir können uns gar nicht mehr vorstellen, dass ohne Geld überhaupt etwas funktionieren, geschweige denn möglich (und damit als Alternative wirklich) werden könnte. Und viele der Verlierer in diesem Spiel (Gewinner gibt es dabei "naturgemäß" nur sehr wenige), die keinen beglückenden Zugang zu Geld und Besitz erhalten, revanchieren sich zunehmend, indem sie kompensierende Glückserfahrungen nationalistischer, religiöser bis hin zu fanatischer Machart anstreben und erneut auf Kosten anderer verwirklichen (wollen). Oder sie lösen sich von der leidenden Welt und retten sich wie aus dem Nichts in scheinbare Erleuchtungen, was sie noch tiefer in die Verblendung führt. Wie es am Ende und im Grunde wirklich um die Welt bestellt ist, kann auch hier nicht herausgefunden werden. Davon unabhängig lässt sich feststellen, dass die Möglichkeiten und Wirklichkeiten der "Welt" (als allem dem Menschlichen Zugänglichen) sich in einem Geschehen realisieren, an dem der Mensch schon lange (mehrere tausende bis hunderte Jahre, je nach Sichtweise) einen entscheidenden Anteil hat, weshalb man mittlerweile auch vom Anthropozän spricht. Esoterische Aussichten auf Daseinsformen außerhalb unserer wahrnehmbaren und messbaren Wirklichkeit sind nicht auszuschließen, doch leider viel zu oft dem Leben abgewandt. Es gibt Weltsichten, die sich aus Prinzip von nichts auf dieser Welt berühren lassen wollen und die einen dogmatischen Zwang pflegen, der sie von jeglicher Berührung fernhält. Doch können solche Weltsichten sich nicht gänzlich von Berührungen befreien, so lange sie noch nicht zu reinen Geistwesen transformiert sind. Ihre Loslösung von allem Diesseitigen ist seelisch motiviert und man kann ihnen bei ihrem Projekt nur Glück wünschen. Die Frage ist, ob am Ende eine Loslösung von allem, was erscheint, dem Wirklichen gerecht werden kann, wenn man doch das, was in der Welt über die eigenen gedanklichen Konstruktionen hinaus mitgegeben ist, pauschal negiert, abwertet und ignoriert? Kann ein solches, rein vergeistigtes, dem Diesseits abgewandtes Welt-Konzept einer sich fortwährend schenkenden, austauschenden und ausdrückenden Welt der „Erscheinungen“ jemals gerecht werden? Und sei es nur zur Rettung des Selbst, das seinerseits ja auch nur eine Erscheinung ist? Die auf diesem Planeten heute vorherrschende Weltsicht hat zumeist kalte Gesichter. Im Grunde beruht sie auf eingebildeten, weltverbrauchenden, weltnegierenden, zunehmend auch weltvernichtenden Einstellungen und Haltungen, die sich als solche nicht wahrnehmen (dürfen), um zu funktionieren und die deshalb den kritisch-reflektierenden Blick auf sich selbst als ein im tiefsten Grunde wahrnehmendes Wesen tabuisieren. Der Mensch, der gelernt hat, primär monetär motiviert zu denken und zu handeln, ist gar nicht mehr in der Lage, einen befreiten Blick auf sich und seine Bedingungen und Verhältnisse zu werfen. Denn wäre dies möglich, würde plötzlich – angesichts der dürftig kaschierten Hässlichkeit und Zerstörungskraft des dann Erkannten und des damit verbundenen Leids, das heute mehr denn je weltweit unzählige Menschen, Tiere und die Natur erfahren - eine ganze Welt (im Sinne der jeweiligen Weltsicht) zusammenbrechen. Man stünde plötzlich unendlich traurig, beschämt und schmerzerfüllt da ob seiner dann erkannten Verblendung, Ignoranz, Taubheit, Gier. Als ein die gegebenen Verhältnisse und die daraus resultierenden, deformierten Sichtweisen Erkennender müsste man sich als "zivilisierter" Mensch grundlegend in Frage stellen und seine komplizenhafte Mitwirkung an der Zerstörung des Lebens anerkennen. Man wüsste nicht, wie man sich wieder aufrichten können sollte, da man doch gerade mit seiner Identität als moderner, aufgeklärter (oder schlimmer noch: postmoderner, abgeklärter) Mensch selbst eine Wurzel der Zerstörungen und der Ungerechtigkeiten auf diesem Planeten war und weiterhin ist. Wie könnte es gelingen, dass wir uns weltweit als die technisch-rational-funktional verbogenen und erkalteten Menschen erkennen, die wir (geworden) sind? Man hält sich – egal welcher Herkunft oder Kultur - ja irgendwie immer für etwas Besseres und leidet oder verkrampft sich sehr, wenn das nicht von außen bestätigt und gelobt wird. Und tut man nicht bereits das Beste für seine Liebsten und überhaupt? Warum sollte man sich als der „gute“ Mensch, der man ja in seiner vermeintlich selbst gewählten, in Wirklichkeit jedoch fremdbestimmten Selbstoptimierung (geworden) ist und weiterhin wird, noch verändern? Was könnte man tun, um sich seinen Schwächen und seinem Versagen zu stellen und dabei nicht kraftlos zurückzubleiben? Wie könnte man in diesem sich selbst entlarvenden Erkenntnisprozess sogar Mut und schöpferische Kraft gewinnen? Gibt es einen Weg, der es erlaubt, sich als Mensch noch einmal neu zu erfinden und damit die Welt auf eine ganz andere, für uns undenkbare, jedoch lebendige, im Grunde sehr vertraute Weise wahrzunehmen und zu gestalten? Noch einmal zurück zum zuerst genannten Verständnis des Menschen als einer Lebensform unter unzähligen anderen, die sich jedoch darin von den anderen Lebensformen auf diesem Planeten unterscheidet, dass sie mit der Fähigkeit ausgestattet ist, ihren eigenen Status wahrzunehmen und zu reflektieren und dadurch ebenso selbstlos und von Vertrauen, vielleicht sogar von Liebe getragen in der Welt wirkt. Ist das nicht eine humanistische, weitestgehend säkulare Weltsicht, von der wir meinen, wir hätten diese – zumindest in demokratisch-zivilisierten Ländern - bereits zu einem guten Teil eingenommen und bräuchten diese nur noch weiter zu kultivieren? Das wäre schön, doch woraus speisen sich die hier angesprochenen Begriffe Wahrnehmung, Reflexion, Status, Vertrauen, Liebe und Welt? Wie kann dieses angesprochene und im Grunde ja durchaus zu befürwortende Weltverhältnis auf angemessene Weise evident und damit wirksam (gemacht) werden? Wie können wir die Welt und uns darin wahrnehmen, wie können wir denkend, handelnd und fühlend darauf hinwirken, dass diese idealisierten Begriffe, die ja für eine mögliche, bessere Welt stehen, wirklich werden und sich in ihrem Gehalt bewahrheiten? Wie können wir uns von diesen Begriffen lösen, um sie in ihren wahrhaftigen, letztlich aber begriffslosen Potenzialen wirksam werden zu lassen? Lässt sich eine Wahrheit außerhalb der Begriffe überhaupt denken? Hier kommen wir zur Ästhetik im Sinne eines reflektierenden und reflektierten Wahrnehmens dessen, was uns begegnet und noch mehr dessen, was uns berührt. Und wir kommen zum Dialog im Sinne des persönlichen Austauschs darüber mitsamt aller denkbaren damit verbundenen Implikationen. Und wir kommen hier auch zu der Epoche, in der dies geschieht: Zum Anthropozän als der Zeit, in der der Mensch beginnt, die Welt über sich hinaus wahrzunehmen, zu gestalten und zu verstehen. Wir gehen also über uns hinaus in einer Zeit, in der wir uns selbst fragwürdig werden und deren Gegenwart umso präsenter wird, je mehr sich uns die Zukunft mangels gewohnter Ressourcen als lebbarer und erstrebenswerter Möglichkeitsraum verschließt. Eine dialogische Ästhetik im Anthropozän kann diesen Weg „über sich hinaus und zu sich“ bahnen und begleiten in dem Sinne, dass sie die Aufmerksamkeit einfühlsam darauf lenkt, was uns begegnet und diese Begegnung fruchtbar macht für unser Fühlen, Denken und Handeln in dem, was wir dann erst eigentlich in einem gelebt-lebendigen Sinne „Welt“ nennen können. Die Zukunft entfaltet sich dann im Geschehen und neigt sich uns in der Gegenwart zu – ganz anders als bisher, da sie von uns scheinbar fortwährend aus der Gegenwart heraus erobert werden musste und muss. Diese Überlegungen führt zu etwas hin, was erst außerhalb der menschlichen Sprache erfahren und verstanden werden kann. Hier sind phänomenologische, kommunitaristische, tiefenökologische, erkenntnistheoretische, verhaltenstherapeutische etc. Verständnisweisen und Zugänge im Spiel, die der Vermittlung dienen, jedoch nicht das in die Welt bringen können, worum es hier geht: Die seelische Begegnung mit Natur als Grundlage all dessen, was uns überhaupt etwas angeht. Das ist unermesslich viel und etwas ganz anderes als das, woran wir uns in unserer beliebige Gegenstände, Vorstellungen, Gedanken und Gefühle (re-)produzierenden, allzu bequemen konsumistischen, vermeintlich aufgeklärten Lebensweise gewöhnt haben. „Natur“ ist erst einmal auch nur ein Begriff, der auf unterschiedlichste Weise beleuchtet und verstanden werden kann. Was sich hinter dem Begriff verbirgt, ist jedoch mehr als eine Idee oder eine allgemeine Vorstellung von etwas – Natur ist konkret das Geschehen und Gewebe, in dem Leben sich ereignet, das und in dem wir sind. Welches Verständnis können wir Menschen von diesem Leben gewinnen, wenn wir plötzlich bemerken und dem gerecht werden wollen, dass sich dieses Leben uns schenkt und zugleich in seiner Tiefe und Würde unverfügbar ist? Wie können wir uns auf etwas lebendig einstellen, das wir bislang nur für unsere Zwecke benutzt haben und dem wir jegliches „Eigenleben“ absprechen, von dem wir plötzlich aber bemerken, dass wir davon abhängig sind und dass wir im Grunde nach jahrtausendelangem Denken und Entwickeln noch überhaupt nichts von der lebendigen Welt, wie sie sich um, in und durch uns ereignet, wahrgenommen, geschweige denn verstanden haben? Wer sind wir als Menschen in diesem sich unendlich wandelnden, lebendigen Geschehen, das uns umfängt und durchdringt? Ist es nicht so, dass in solchen Fragen eine schier übermenschliche und damit erst eigentlich angemessene Aufgabe auf uns zukommt? Die Dialogische Ästhetik im Anthropozän beleuchtet Fragen wie diese und will dabei nicht mehr und nicht weniger sein als eine Propädeutik hin zu einer neuen Wahrnehmung von uns selbst als Teil eines umfassenden lebendigen Geschehens, das durch uns noch nicht in dem Grade zur Geltung gekommen ist, wie es möglich wäre und das durch uns als menschliche Wesen zu mehr Geltung gelangen kann und will. Wie können wir uns diesem Geschehen annähern, es für uns wahrnehmbar machen, uns darauf einstimmen? Wie können wir uns weiterhin als Menschen erfahren, die in alledem gerade deshalb etwas Besonderes sind, weil dieses Geschehen weit über unsere bisherigen Möglichkeiten hinausweist und wir uns in diesem einerseits unermesslichen, andererseits uns berührenden und von uns berührten Raum entfalten? Was ist unsere Aufgabe, was sind unsere Möglichkeiten als Menschen in einer lebendigen, fühlenden und verwobenen planetaren Welt, die ihrerseits Teil ist eines solaren, galaktischen und intergalaktischen Gefüges in einem unermesslichen Kosmos ungeahnter Dimensionen? Hier klingt der kosmische Anthropos im Sinne Jochen Kirchhoffs an, auch sozialwissenschaftliche Sichtweisen, wie sie z.B. Hartmut Rosa mit seinem Resonanzmodell stark macht oder Bruno Latours Akteur-Netzwerktheorie oder leibphänomenologische Perspektiven, wie sie Herrmann Schmitz entwickelt hat oder planetares Denken, wie es Claus Leggewie anstrebt, aber auch Erkenntnisse des Ecocriticism samt Perspektiven und Methoden des Nature Writing fließen in die Dialogische Ästhetik im Anthropozän ein. Die Begegnung mit Natur berührt zwangsläufig außerwissenschaftliche Zonen, die teilweise auch spirituell motiviert und wirksam sind. Die Natur ist in einer weit über den Menschen hinausweisenden, erhabenen Weise schöpferisch und mächtig, was sie aus menschlicher Perspektive als „heilig“erscheinen und bezeichnen lässt. Das Heilige als Ausdruck eines umfassenden schöpferischen Prinzips spricht uns in der Wahrnehmung der Natur – und ist nicht alles Natur, worin und das wir sind? - direkt an. Das Gewahrwerden von Bewusstsein als Bedingung jeglicher Erfahrung führt zu pantheistischen Vorstellungen: Der Kosmos als Universum voller Geiststaub (Müller/Watzka). Natur als etwas von Geist Durchdrungenes, ja als etwas Beseeltes oder Seelenhaftes zu erfahren mit all den Persönlichkeiten, die sich darin und darüber hinaus als potenziell ansprechbare und antwortende Wesen zeigen, eröffnet einen schamanischen Weltzugang, wie ihn die modernen, von ihrer vermeintlich klaren, „wissenschaftlichen“ Weltsicht überzeugten Zivilisationen nur schwer – und wenn überhaupt, dann nur psychologisch oder anthropologisch – (an-)erkennen können. Auch wenn der schamanische Weltzugang prinzipiell unwissenschaftlich ist (und als persönlicher, nichtanalytischer Zugang zu einer Welt hinter der sinnlich erfahrbaren Welt auch sein muss) und die in der künstlerischen Naturforschung aufzuzeigenden und sich zeigenden Kräfte für den wissenschaftlichen Zugriff untauglich sind, heißt das nicht, dass hier keine verborgenen und kultivierbaren Wirklichkeiten wirksam wären, die es gerade in unserer Zeit wieder wahrzunehmen, zu würdigen und in unser Denken, Fühlen und Handeln zu integrieren gilt. Philosophie und Kunst haben durch Verlebendigung der Natur spätestens seit der Romantik viele den Naturwissenschaften unzugängliche Denk- und Vorstellungsräume eröffnet. Es gilt jedoch sogar über die Sphären der Kunst und der Philosophie hinauszugelangen … bis in die Wirklichkeit dessen, was (noch nicht) wirklich, jedoch möglich und wünschbar und dann auch wünschenswert sein kann. Vielleicht - und nach meinen bisherigen künstlerischen Forschungen in der Begegnung mit Natur sogar wahrscheinlich - sind in der Natur weniger blinde, zufällige oder zerstörerische, sondern vielmehr liebende und heilende Kräfte wirksam, für die es keine Naturwissenschaft geben kann, da sie für das rationale Denken nicht feststellbar oder messbar, sondern nur in ihrem Werden und Vergehen – auf einer geistig-seelischen Ebene – wahrnehmbar (im Sinne von fühlbar) sind. Was hat es mit solchen lebendig-fühlbaren Wirklichkeiten und Wesenheiten auf sich – welche verschütteten, erst noch wiederzuentdeckenden und zu entwickelnden Wahrnehmungs- und Bewusstseinsqualitäten sind hier angesprochen und was zeigt sich uns Menschen dadurch mit welchen Konsequenzen, die wir daraus zu ziehen hätten? Welches Weltbild und welche mit der Natur versöhnbare Kultur kann daraus entstehen? Löst sich gerade der Gegensatz Natur und Kultur gänzlich auf und kann dieser Auflösungsprozess für die Zukunft des Lebens und der Menschen auf diesem Planeten hilfreich, heilsam, ja vielleicht sogar lebensrettend sein? Aus der hier entwickelten und praktizierten künstlerischen Forschung in der Begegnung mit der Natur lässt sich eine integrale Kalibrierung des Selbst ableiten. Integrale Kalibrierung insofern, als der Mensch in der Begegnung mit der Natur und in Besinnung auf Wahrnehmung und Bewusstsein zu einem neuen Verständnis seiner selbst gelangen kann - als ein durch die Natur ermöglichtes und spürbar getragenes Wesen, das in Anerkennung und im Austausch mit anderen, nicht mehr nur menschlichen Mitgeschöpfen, Tiefe und Würde erfährt. Das individuelle kreatürliche Dasein zeigt sich dann als schöpferisches Geschenk in einem geteilten Feld. Menschen, die zu dieser Haltung kommen, werden, so lässt sich vermuten, anders – schonender und kreativer - mit der Wirklichkeit und allem Leben als ihrer Heimat umgehen als Menschen, die sich dieser Haltung verweigern und die weiterhin seelisch heimatlos ihre (Um-)Welt nach ihren Vorstellungen handhaben und sie dabei unbewusst oder bewusst für ihre Zwecke missbrauchen. Eine dialogische Ästhetik im Anthropozän will die Differenz zwischen lebendiger (heilender) und unlebendiger (zerstörerischer) Natur und Kultur spürbar werden lassen und herausarbeiten und dabei - auch - dialogisch zu Vorstellungen und Begriffen kommen, anhand derer sich aufzeigen lässt, wie durch Begegnungen mit der Natur und im Austausch darüber eine Heilung unseres instrumentalisierten, versachlichten, seelen- und herzlosen und damit getrennten „In der Welt Seins“ möglich und wirklich werden kann. Dies wäre der Beitrag einer Dialogischen Ästhetik zur Förderung post-anthropozäner, lebendiger und zukunftsfähiger Einstellungen und Perspektiven in einer menschengemachten dürftigen Zeit. Ich danke Barbara Kastura von Herzen dafür, dass diese künstlerische Forschung samt der damit verbundenen Überlegungen in einem lebendigen und Kreativität und Begegnung ermöglichenden gemeinsamen Erfahrungshorizont stehen darf, der eine Dialogische Ästhetik überhaupt erst fundiert und exemplarisch fruchtbar macht. |
«Was ist nun das bezeichnendste Merkmal des Zen-Asketentums in Verbindung mit der japanischen Naturliebe? Es liegt darin, daß man der Natur die volle Ehrfurcht entgegenbringt, die sie verdient. Darunter verstehen wir, daß man die Natur nicht als einen Gegenstand der Eroberung und der leichtfertigen Ausbeutung im Dienste des Menschen behandelt, sondern als Freundin und verschwistertes Wesen, das gleich uns selber eines Tages zur Buddhaschaft berufen ist. Zen verlangt, daß wir der Natur als einer befreundeten, uns wohlgesinnten Macht begegnen, deren innerstes Wesen durchaus unserem eigenen gleich und jederzeit bereit ist, im Einklang mit unseren berechtigten Wünschen zu wirken. Die Natur ist niemals ein Feind von uns, der uns ständig in drohender Haltung gegenübersteht. Sie ist keine Macht, die uns zerschmettern möchte, wenn wir sie nicht zerschmettern oder zu unserem Dienst in Fesseln schlagen Zen lehrt uns die Natur achten, die Natur lieben und ihr eigenes Leben mit ihr leben. Zen anerkennt, daß unsere Natur eins ist mit der gegenständlichen Natur, wenn auch nicht im mathematischen Sinn, aber in dem Sinn, daß die Natur in uns und wir in der Natur leben.»
Suzuki, D.T.: Zen und die Kultur Japans, Stuttgart 1941 |